Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
und erhebt sich. Sie kann froh sein, wenn die Fußstapfen des Vaters noch nicht vollständig verweht sind und manch einer den Ritter aus Ehrenberg im Gedächtnis bewahrt, bis sie nach ihm fragen kann.
»Nun frisch weiter«, fordert sie sich mit strenger Stimme auf. »Der Tag verfliegt, und der Weg ist weit!«
Ein letzter Blick auf die beiden Bergfriede. Und es ist ihr noch einmal so zumute, als würde sie die Heimat nie mehr wiedersehen.
Juliana wandert weiter. Sie ist müde, Rücken, Beine und Füße schmerzen, aber sie geht unverdrossen, die Sonne weist ihr den Weg nach Südwesten. Mal sind es ausgefahrene Karrenwege, mal schmale Waldpfade, mal geht es einen Feldrain entlang. Der Nachmittag ist bereits angebrochen, als das Kloster Maulbronn vor ihr auftaucht. Juliana humpelt auf die weitläufige Anlage zu und klopft an das Tor. Die Zisterzienser öffnen ihr, bitten sie herein und geben ihr zu essen. Zögernd fragt sie nach einem Lager für die Nacht, obwohl die Sonne noch für Stunden am Himmel stehen wird. Der Mönch, der sich um die Gäste kümmert, nickt. »Wohin soll es denn gehen?«, fragt er.
»Zum Grab des Apostels nach Santiago de Compostela«, sagt sie, und es klingt seltsam in ihren Ohren, jetzt, da sie es zum ersten Mal laut ausspricht. »Aber ich weiß nicht, ob ich es schaffe«, fügt sie hinzu. »Ich bin gerade mal einen Tag und eine Nacht unterwegs, und meine Füße fühlen sich an, als steckten sie im Fegefeuer.«
Der Mönch lächelt wissend. »Darf ich mir die Füße ansehen, die dir solche Pein bereiten?«
Zögernd stimmt Juliana zu. Es ist ein seltsames Gefühl, seine Beine vor einem fremden Mann zu entblößen. Er greift nach ihnen und tastet sanft über offene Blasen. Dem Mädchen stehen Tränen in den Augen. Verzweiflung will sie verschlingen. Der Mönch spürt, wie ihr zumute ist.
»Nun, nun, nicht so verzagt, die ersten Tage auf der Straße sind die schlimmsten, das kann dir jeder Pilger berichten. Deine Füße – ja dein ganzer Leib muss sich erst an dieses neue Leben gewöhnen. Schon bald werden deine Fußsohlen hart wie Leder sein und dein Rücken das Bündel nicht mehr als Last empfinden. Den Kampf gegen die Blasen hast du gewonnen, noch ehe du den Rhein überschreitest. Ruhe nun, bis der Tag anbricht. Ich werde dir die wunden Stellen mit einer Salbe einreiben und dir ein kleines Töpfchen davon mitgeben. Kopf hoch! Der Herr wird dir Mut geben. Wenn die Zweifel kommen, dann bete zu ihm und zur Heiligen Jungfrau.«
Juliana nickt nur stumm und sieht zu, wie der Zisterziensermönch ihre geschundenen Füße mit Salbe einreibt.
23
Santo Domingo 17
D as Gefühl der wunden Füße überdauerte den Traum. Besorgt betrachtete Juliana die rissigen Stellen in den ansonsten verhornten Fußsohlen, die sich wie rosige Schlangen in die Tiefe der Haut wanden und ihr Schmerzen bereiteten. Missmutig sah sie die schlammigen Lappen an, mit denen sie die zu großen Schuhe ausgestopft hatte.
André streckte den Kopf durch die Tür. »Wenn du dich nicht beeilst, dann wirst du kein Mus mehr bekommen.« Seine Stimme klang, als habe der Regen auch seinen Trübsinn davongeschwemmt. Juliana humpelte in den angrenzenden Raum, wo der alte Ordensmann – wieder oder immer noch – beim Kamin saß.
»Was ist mit deinen Füßen?«, fragte er und bestand darauf, sie sich anzusehen. Dann schlurfte er davon und kam mit einigen Leinenstreifen zurück, die er in eine grüne, scharf riechende Flüssigkeit getaucht hatte. Er wickelte sie fest um die wunden Ballen und band noch ein leidlich sauberes Tuch darüber.
»Morgen wird es besser sein.« Er lächelte und ließ ein paar schwärzliche Zahnstümpfe sehen. Artig bedankte sich das Mädchen und schlang dann das klebrige Mus herunter, das der Alte für sie gekocht hatte.
Die fünf Pilger packten ihre Bündel, verabschiedeten sich von dem alten Mönch und brachen auf. Noch immer hingen dichte Wolken am Himmel, der Regen aber hatte aufgehört. Der Schlamm allerdings war noch unangenehmer geworden. Bei jedem Schritt saugte er sich an den Sohlen fest und schien
diese nur widerwillig freizugeben. Als die Straße sich absenkte, mussten die Wanderer Acht geben, nicht auszurutschen und zu fallen.
André war der Erste, der im Morast landete. Schimpfend versuchte er, die roten Flecken von seinem feuchten Umhang zu wischen, verteilte den Lehm dabei jedoch nur. Juliana stemmte bei jedem Schritt den Stab fest in den Boden. Auch ihre Kleider waren noch feucht, und
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