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Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)

Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)

Titel: Das Siegel des Templers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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sich. »Dann jammere nicht, sondern halte die Füße in Bewegung!«
    Ach, wenn es ihr nur nicht so schwer fiele! Der nächste Weiler, wo die Gartach in den Neckar fließt, liegt in tiefem Schlaf. Die Nacht wird immer kühler. Kein Licht ist zu sehen, nicht die Glut eines Feuers, keine Wärme. Nur ein Hund verbellt den nächtlichen Eindringling. Schnell geht Juliana weiter. Der Mond erhellt ihren Weg. Sie kann die Mauern von Heilbronn auf der anderen Flussseite erahnen. In ihrem Geist sieht sie die Wächter auf den Wehrgängen auf und ab gehen, den wachsamen Sinn in die Nacht gerichtet, um ihren Bürgern sicheren Schlaf zu schenken. Welch wundervolle Gewissheit, beschirmt zu werden. Wie lange wird sie das Gefühl, in Sicherheit zu sein, nun vermissen müssen? Den Gedanken – noch ist es nicht zu spät umzukehren – lässt sie nicht zu. Sie bleibt auch nicht stehen, um Atem zu holen oder aus der Flasche zu trinken, obwohl ihr Mund trocken ist und nach Wasser verlangt, zu groß ist ihre Furcht, ihr Mut könne ins Straucheln geraten. So folgt Juliana dem Weg der Sterne nach Süden, Schritt für Schritt. Ein weiteres Dorf im Schlaf säumt ihren Weg.
    Muss sie sich nun nicht nach Westen halten? Oder erst bei der nächsten Ansiedlung? Es ist zu dunkel, um das Schreiben des Dominikanermönchs zu entziffern, außerdem ist niemand wach, den sie nach dem Namen des Dorfes fragen könnte. Juliana spürt die Kälte, die in der Zeit vor dem Morgengrauen durch den Mantel kriecht, und hört das Grummeln des Hungers in ihrem Bauch. Blasen haben sich an ihren Zehen und den Fersen gebildet und quälen sie bei jedem Schritt mit stechendem Schmerz. Sie folgt einem schmalen Waldpfad nach Westen und fragt sich bang, ob sie sich schon verlaufen hat. Der Berghang, den sie quert, wird immer steiler, doch wie soll sie sich in diesem Dickicht orientieren? Sie muss weitergehen, bis das Land freier wird, bis es hell wird und sie auf Menschen trifft, die sie fragen kann.
    Die Nacht verblasst, die Sterne verlöschen, endlich weichen
die Bäume zurück. Das Edelfräulein bleibt stehen und lässt den Blick über die Doppelburg schweifen, die sich, vom ersten Sonnenlicht angestrahlt, auf dem Bergrücken vor ihr erhebt. Zwei mächtige Bergfriede, die so vertraut an Wimpfen erinnern, von je einer Ringmauer umgeben: Sie weiß, dass der Turm der oberen Burg schon seit Generationen der Familie als Donjon dient. Der untere Turm wird von den Burgmannen bewohnt. Ein zweiter Mauerring umschließt die großartige Anlage.
    Zu Füßen der Doppelburg breitet sich ein Weiler aus, von dem drei Männer mit Äxten über den Schultern den Hang hinauf auf sie zukommen. Eigentlich braucht Juliana die Männer nicht mehr zu fragen, um zu erfahren, dass hinter diesen Mauern ihr Freund Wolf von Neipperg aufgewachsen ist. Wie oft hat er ihr von seiner Heimatburg erzählt, bis es ihr so vorkam, als habe sie jede Ecke, jedes Stockwerk der Türme, jedes Stück Mauer von Neipperg mit eigenen Augen gesehen.
    Das Ritterfräulein lässt sich auf einen Baumstumpf sinken und verbirgt das Gesicht in den Händen. Zum Glück haben sich die Bauern bereits abgewandt. Es hätte sie sicher gewundert, den jungen Burschen plötzlich in solch tiefer Trauer vor sich zu sehen.
    Wolf! Allein sein Name treibt ihr Tränen in die Augen. Vier Jahre sind verstrichen, in denen die Hoffnung immer weiter schwand, bis sie von der Gewissheit verdrängt wurde, dass sie ihn in diesem Leben nicht wiedersehen würde. Welch wundervolle Tage der Kindheit haben sie zusammen verbracht, und wie roh wurden sie von einem zum nächsten für immer beendet. Es kommt dem Ritterfräulein vor, als sei seit ihrer letzten gemeinsamen Stunde ein ganzes Leben verstrichen, und dennoch brennt die Frage wie am ersten Tag in ihr und schmerzt in ihrer Seele: Warum ist er fortgegangen? Wie konnte der Ruf des toten Apostels schwerer wiegen als der lebendige Leib der Freundin an seiner Seite? Und was hat ihn davon abgehalten, zu ihr zurückzukehren?
    Juliana wirft noch einen Blick auf Neipperg. Sie weiß nun,
dass sie vom Weg abgekommen ist. Brackenheim liegt fast eine Stunde weiter südlich.
    Hat sie sich einfach nur verlaufen, oder ist es ein Wink des Schicksals, der ihre Schritte zur Doppelburg Neipperg lenkte? Was soll ihr die Erinnerung sagen, die so heftig auf sie einstürmt, als wäre er erst gestern von ihr gegangen? Kann sie hoffen, nach so vielen Jahren seine Spuren zu entdecken? Das Mädchen schüttelt energisch den Kopf

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