Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
Pilger gearbeitet – obwohl San Millán hier in der Gegend großen Einfluss hatte. Auch heute noch sind viele Klöster und Spitäler, die ihr am Wegrand seht, von San Millán abhängig.«
»Warum wurde der heilige Domenicus dort nicht aufgenommen?« , wagte André zu fragen. »Hatte er sich eines Verbrechens schuldig gemacht, dass die Mönche ihm die Tür wiesen?«
»Sicher nicht!«, fuhr ihn Pater Bertran an. »Man sagt, Santo Domingo wurde noch zu seinen Lebzeiten heilig gesprochen!«
»Nun ja, das eine schließt das andere nicht aus«, mischte sich der Bettelmönch ein.
»Lästert nicht!«
Bruder Rupert stieß einen gequälten Laut aus. »Obwohl Ihr vom Alter her von unserer Gemeinschaft die größte Erfahrung in Eurem Leben gesammelt haben müsstet, kommt Ihr mir manches Mal einfältiger vor als unser junger Ritter André. Ich sage Euch, ich habe noch keinen Menschen getroffen, der nur gut oder nur böse war, nur sanftmütig oder nur grausam, und ich bin schon recht weit in der Welt herumgekommen. Es steckt von allem etwas in uns und tritt zuweilen zu Tage. Unsere Taten abzuwägen, müssen wir dem Allmächtigen überlassen. Wäre es so klar, könnten wir selbst auf der Erde entscheiden, wer für den Himmel und wer für die Hölle taugt. Ich will Euch nicht fragen, wie sicher Ihr Euch auf der richtigen Seite wähnt.«
Der asketische Pater kniff die Augen zusammen, warf Bruder Rupert einen erbosten Blick zu und wandte sich dann ab.
Sein Zorn war so groß, dass er wohl nicht einmal bemerkte, wie schnell er den Hügel hinauflief. Die Sohlen seiner Sandalen patschten über das Pflaster. Juliana und André fielen immer weiter zurück, und auch Ritter Raymond schwitzte und fluchte vor sich hin. Er schwankte leicht beim Gehen, seit er Santo Domingo verlassen hatte, und ein paarmal strauchelte er über hervorstehende Steine. Nur Bruder Rupert schritt genauso schnell wie der Augustiner, ohne dass auch nur sein Atem schneller wurde. Es schien, als wäre es ihm gleich, ob es bergan oder bergab ging.
Pater Bertran hatte sich vorgenommen, heute noch nach Vilafranca 18 aufzusteigen, doch als sie das Tal des Flusses Tirón erreichten, versank die Sonne hinter dem bewaldeten Höhenzug vor ihnen.
»Wir sollten die Nacht hier verbringen.« Bruder Rupert deutete auf die Stadt vor ihnen, die sich, anders als die meisten Orte, durch die sie gekommen waren, nicht entlang des Pilgerweges ausdehnte, sondern in Nord-Süd-Ausrichtung auf einer Terrasse über dem Fluss am Fuß eines Kalksteinfelsens erstreckte. Eine Burg thronte über der von Höhlen durchlöcherten Wand.
Es war bereits dunkel, als sie das Tor erreichten. Bruder Rupert rief den Wächter in Französisch und Latein an, er versuchte es sogar auf Deutsch, doch der tat so, als verstehe er ihn nicht. Erst als sich Pater Bertran einmischte und einen spanischen Wortschwall zur Mauer hinaufschickte, gewährte der Wächter ihnen gnädig Zutritt zur Stadt und schickte sie zum Hospital de los Caballeros, das sich gleich hinter die Mauer duckte.
Obwohl es ein Haus des Bischofs von Burgos war, trafen die Wanderer nur auf einen fettleibigen Mönch, dem ein Novize
zur Hand ging. So dick der Mönch in seinem makellos schwarzen Habit war, so aufgeschossen und schmal war der Junge, dessen viel zu weite Kutte um seinen Leib schlotterte. Sie reichte ihm gerade einmal bis zu den Waden, die wie dürre Äste unter dem Saum hervorlugten. Der dicke Mönch, den der Novize mit »Fray Diego« ansprach – wobei er sich jedes Mal verbeugte – hatte sich in einem bequem gepolsterten Scherenstuhl zurückgelehnt, der am Kopfende eines langen Tisches nahe des Kamins stand. Von hier aus erteilte er dem Jungen Anweisungen. Mit klappernden Sandalen eilte der Novize hinaus.
»Setzt euch, und ruht euch aus«, lud Fray Diego die Wanderer ein, »und erzählt mir, woher ihr kommt und was ihr auf eurer Reise alles erlebt habt. Es wird noch eine Weile dauern, bis das Nachtmahl bereitet ist. Der Junge ist zwar willig, aber nicht sehr geschickt – und leider versteht er nichts vom Kochen. Ich bin stets gezwungen, mich selbst an den Kessel zu bewegen!«
Juliana unterdrückte ein Lächeln und sah verstohlen zu André hinüber. Auch um seine Lippen zuckte ein Grinsen.
»Ihr könnt alle in der Kammer hinter der Kapelle schlafen.« Sein Blick schweifte über die fünf Neuankömmlinge. »Drei Matratzen müssten noch da sein. Hm.« Er überlegte.
»Ich benötige keine Matratze«, wehrte Bruder Rupert ab.
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