Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
der Tochter. »Unser monatliches Leiden ist ein Zeichen unserer Fruchtbarkeit. Wir müssen an der Erbsünde Evas tragen, aber wir dürfen uns auch freuen, denn solange bei jedem Mond unsere Lebenskraft fließt, können wir Kinder empfangen und gebären.«
Juliana sieht die Mutter zweifelnd an. Diesen Teil des Erwachsenwerdens kann sie nicht als Glück begreifen. Und außerdem werden noch viele Jahre vergehen, bis sie einem Kind das Leben schenken wird.
Jetzt denkt sie erst einmal an das Festessen, das zu ihren Ehren
heute aufgetischt wird, und daran, dass sie dem Vater und dem Freund in ihrem ersten großen Gewand gefallen will. Sie rafft Surkot und Unterrock und läuft zur Tür.
»Halt, halt!«, ruft die Mutter. »Du kannst jetzt nicht mehr wie ein Wildfang die Treppen hinunterstürmen. Bleib stehen und lass Gerda dir deinen Umhang umlegen. Sieh nur, wir haben ihn aus roter und gelber Seide genäht. Nun mach es wie ich, die eine Hand gehört an die Tasselschnur, die andere muss so in den Stoff greifen, dass das farbige Innenfutter zur Geltung kommt. So ist es gut. Und nun folge mir – langsam!«
Juliana fühlt ihre Freude ein wenig gedämpft. Vielleicht ist es doch gar nicht so gut, zu den Erwachsenen zu gehören. Mit diesem Gewand jedenfalls kann sie weder auf Bäume klettern, noch würde es einen Besuch im Stall oder in der Scheune unbeschadet überstehen – jedenfalls nicht, wenn sie mit Wolf die Pferde abreibt oder sich mit ihm ein Lager in einem Heuberg gräbt.
Ähnliche Gedanken scheinen auch Wolf durch den Kopf zu gehen, als er sie betrachtet. Im Gegensatz zu dem Ritter, der seine Tochter voller Stolz anstrahlt, sieht Wolf eher kritisch drein.
»Du glaubst doch nicht etwa, ich würde in Seide und Brokat zu den Pferden oder den jungen Hunden gehen«, beruhigt sie den Freund und schenkt ihm ein strahlendes Lächeln. »Und zum Brombeerenpflücken ist das Gewand auch völlig ungeeignet. Wenn wir zusammen hinausgehen, dann ziehe ich natürlich meine alten Kittel an!«
»Nein, das wirst du nicht!« Die Miene des Vaters hat sich verdüstert. Die Edelfrau legt ihm beruhigend die Hand auf den Arm.
»Lasst mich es ihr erklären«, sagt sie ruhig. »Es ist eine große Umstellung vom Kind zur Frau.« Sabrina von Ehrenberg führt ihre Tochter zum Tisch und spricht leise auf sie ein. Juliana sieht sich nach Wolf um, der ihr mit einem Blick voller Sehnsucht
nachsieht. Plötzlich ist die Freude über ihren Festtag dahin, und nicht einmal die besonderen Süßigkeiten der Köchin wollen ihr schmecken.
»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist«, wehrt Wolf ab und schüttelt den Kopf. »Du weißt, dass es der Ritter verboten hat.«
Juliana macht eine wegwerfende Handbewegung. »Der Vater ist nicht da. Wer weiß, wann er von Guttenberg zurückkommt. Und die Mutter leidet wieder unter diesen Schmerzen im Kopf und hat sich in die Kemenate zurückgezogen.«
Sie bleibt vor der großen alten Scheune stehen, die im Zwinger unterhalb der Burg an der Umfassungsmauer lehnt.
»Und dein Gewand? Es wird schmutzig werden«, gibt Wolf zu bedenken.
»Bist du ein Knappe oder ein Waschweib?«, mault Juliana, bleibt vor der Scheunentür stehen und beginnt, die Bänder des Obergewands zu lösen.
»Was machst du da?«, fragt ihr Freund nervös.
»Ich ziehe den Surkot aus, damit er nicht schmutzig wird«, antwortet sie heiter. »Hilf mir mal!«
»Nicht hier draußen, widerspricht Wolf und öffnet die Scheunentür. Er schiebt Juliana hinein und lässt die Tür hinter ihr zufallen. Ihr Gewand gleitet raschelnd zu Boden, die unbequemen Schnabelschuhe folgen.
»Nun komm schon!«, ruft sie. »Ich bin mir sicher, dass sie ihre Jungen hier irgendwo versteckt hat. Ich habe sie genau beobachtet.«
Nur mit ihrem knöchellangen Hemd bekleidet, krabbelt Juliana über den großen Heuhaufen hinweg. Wolf leckt sich nervös die Lippen. Es ist nicht klug, was er da tut, gar nicht klug, aber seine Füße scheinen mit dem Boden verwurzelt und weigern sich, die Scheune zu verlassen. Er sieht ihre nackten Waden und die weißen Fußsohlen hinter dem Berg verschwinden.
Es ist düster hier drinnen, in seinem Geist jedoch sieht er mehr von ihr, als schicklich ist.
»Schieb den Laden auf. Ich kann ja gar nichts erkennen!«, fordert sie ihn auf. Wolf gehorcht und folgt ihr auf die andere Seite des Heulagers.
»Miez, Miez, Miez, wo bist du?«, lockt Juliana und sieht hinter Brettern und zerbrochenen Fässern nach. »Komm her, meine schönste aller
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