Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
gespielt hatte, bei heißem Gewürzwein zusammen. Sie luden mich ein. Und da der Wirt sagte, die Hebamme würde sicher bald zurückkehren, dachte ich, ich könne vor dem Kamin behaglich auf sie warten, statt durch diese Sintflut zu reiten.« Er wischte sich über den Mund und warf Juliana einen nervösen Blick zu. Sie saß ganz still da, sah ihn aufmerksam an und wartete, dass er weitersprach.
»Wir hatten uns so viel zu erzählen. Ein Becher folgte dem anderen. Ich – ich vergaß die Zeit. Irgendwann ging die Tür auf, und die Hebamme trat ein. Ich sagte ihr, dass sie mit zur Burg kommen müsse. Sie war nicht erfreut, rief aber gleich nach dem Burschen, dass er ihr Pferd nicht absatteln solle. Inzwischen hatte es aufgehört zu regnen, und als ich vor das Wirtshaus trat, bemerkte ich voll Entsetzen, dass die Dämmerung bereits über dem Land lag. Ich hatte nicht bemerkt, wie viel Zeit verstrichen war.« Wieder machte er eine Pause und wand sich. Juliana spürte, wie schwer es für ihn war, sich dem Ende der Geschichte zu nähern.
»Wir waren kaum aufgesessen, als der Vater herangeprescht kam. Die Angst in seinen Augen werde ich nie vergessen. »Wo bleibst du?«, rief er. »Es steht schlecht! Beeilt euch!«
Wir ritten zurück, so schnell der aufgeweichte Boden es zuließ. Die Hebamme rannte geradezu hinter ihm die Treppe zur Kemenate hinauf….« Ein Schluchzen raubte ihm die Stimme. »Es war zu spät. Das Kind war mit den Füßen zuerst gekommen und stecken geblieben. Es war tot, als wir ankamen, und die Mutter schrie vor Schmerz. Sie war halb von Sinnen. Der Vater schickte mich weg, aber ich konnte sie bis in die Halle hinunter hören. Ich betete, sie solle endlich ruhig sein, und als ihre Stimme dann verklang, war ich für einen Moment lang froh. Als der Vater jedoch herunterkam und ich sein Gesicht sah, wusste ich, dass auch sie tot war. Ich habe meine Mutter und meinen jüngsten Bruder ermordet!«
Reglos saßen sie sich gegenüber, ohne sich anzusehen. Was sollte sie ihm sagen? Juliana war ratlos. Sicher war es kein Mord, keine vorsätzliche Tat gewesen, und dennoch wären Mutter und Kind vielleicht noch am Leben, wenn er die Pflicht, die der Vater ihm aufgetragen hatte, nicht so nachlässig versäumt hätte. Egal, ob sie ihn nun beschuldigte oder von böser Absicht freisprach, lebendig würden die Toten nicht mehr werden. Langsam hob Juliana die Hand und legte sie ihm auf die Schulter.
»Es war Gottes Wille«, sagte sie leise. »Er hat sie zu sich gerufen. Sie sind bei ihm und schauen seine Herrlichkeit. Er hätte helfen und dich mahnen können, wenn es in seinem Sinn gewesen wäre. Wer kann sagen, ob die Hebamme hätte helfen können, wenn sie früher dagewesen wäre? Du bereust und tust mit dieser Pilgerfahrt Buße, mehr wird der Herr nicht von dir verlangen.«
»Aber mein Vater«, schluchzte André. »Er wird mir niemals verzeihen. Ich kann nicht mehr nach Hause zurückkehren.«
»Hat er dir Vorwürfe gemacht?«
André schüttelte den Kopf. »Er hat nichts gesagt – ich meine,
gar nichts mehr, zu mir, kein einziges Wort, aber in seinem Blick stand die Anklage deutlich geschrieben.«
»Und dann bist du fortgegangen?«
»Ja, am Tag nachdem sich der Sargdeckel über meiner Mutter geschlossen hat, zerschlug ich mein Schwert. Ich legte meinem Vater die Bruchstücke vor seine Schwelle und machte mich mit der leeren Scheide an meiner Seite auf den Weg zum Grab des Apostels. Am Anfang hoffte ich noch, dass ich dort Vergebung und Frieden finden könnte, aber jetzt kann ich nicht mehr daran glauben. Ich habe mein Leben verwirkt.« Seine Schultern zuckten von einem lautlosen Schluchzen geschüttelt. Ohne darüber nachzudenken, rutschte Juliana näher und legte den Arm um seine Mitte. Er umschlang sie, zog sie an sich und drückte sein Gesicht gegen ihre Schulter. Sie streichelte ihm den Rücken, der unter ihren Händen bebte, doch kein Ton kam über seine Lippen. In Andrés Kummer versunken saßen sie da, von der Welt entrückt. Sie hörten die Schritte nicht, die sich näherten. Erst als hinter ihnen ein Aufschrei ertönte, fuhren sie auseinander. Sie erschraken so sehr, dass Juliana trotz ihres verletzten Knöchels auf die Füße sprang. Auch André erhob sich, die Hand griff nach der leeren Schwertscheide an seiner Seite.
»Ich kann es nicht fassen«, kreischte eine sich überschlagende Stimme. »Der Herr im Himmel ist mein Zeuge, dass mir noch keine solch verdorbenen Sünder unter die Augen gekommen
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