Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
sicher sind die Wege nicht geworden«, widersprach Juliana und griff sich an den brummenden Schädel. Die Wangen des jungen Mannes röteten sich.
»Es ist wie mit den Wölfen. Ganz ausrotten kann man diese Plage nicht«, verteidigte er die Ritter von Rauanal. »Immerhin lebst du dank unseres Eingreifens.«
»Bruder Rupert hätte mich gerettet!« Trotzig starrten sie sich eine Weile an, bis Wolfs Mundwinkel zuckten.
»Du sagst, du seist erwachsen geworden? Bist du dir ganz sicher? Ich meine, das trotzige Mädchen wieder vor mir zu haben, das mir Tag und Nacht mit seinen verrückten Ideen die Ruhe raubte.«
Sie schwankte zwischen Ärger und Lachen, dann jedoch siegten die freundlichen Erinnerungen. »Da kannst du lange warten, bis ich zu solch einem blassen, langweiligen Fräulein werde wie die Weinsbergerin oder, noch schlimmer, das Fräulein von Wittstatt. Kannst du dich noch erinnern, wie sie sich beim Besuch des Königs in der Pfalz aufgeführt hat?« Beide lachten.
»Ja, ich will hoffen, dass du nicht wie die wirst. Das würde dir gar nicht zu Gesicht stehen. Er hob die Hand, ließ sie aber auf halbem Weg auf die Decke zurücksinken. »Bleibe genau so, wie du jetzt bist.«
Die Heiterkeit verwehte und machte einem Schweigen voller Peinlichkeit Platz. Anscheinend gab es diese Schwingung zwischen ihnen noch immer. Sie könnten wieder dort anknüpfen, wo seine plötzliche Abreise ihre Freundschaft jäh unterbrochen hatte – wenn er mit ihr nach Wimpfen zurückkehren würde.
»Warum hast du dich nicht einmal von mir verabschiedet? Warum bist du nicht zurückgekommen?«
Wolf erhob sich und wich zur Tür zurück. »Ich war jung und ungestüm. Ich lechzte nach einem Abenteuer, das ist alles. Und nun habe ich hier meinen Platz gefunden. Ruhe dich aus, damit du dich schnell erholst.« Seine Hand tastete nach dem Türknauf.
»Wolf, ist es diese Witwe, Tereysa?«
»Was?« Er starrte die Jugendfreundin verblüfft an.
»Bleibst du wegen ihr?«
Sein Erstaunen schien echt. »Aber nein. Wie kommst du darauf? Sie ist eine freundliche Frau, und auch mit den Mägden kommt man aus, aber sonst?« Er schüttelte den Kopf, als sei ihm der Gedanke nie gekommen.
Noch einmal hielt sie ihn auf. »Wer weiß, dass ich hier bin? Ich meine, dass ich Juliana und nicht Johannes bin?«
»Tereysa, der Infirmarius und ich«, zählte er an den Fingern ab.
»Wer hat mich ausgezogen?«
Röte schoss ihm ins Gesicht. »Das war ich, nein, ich meine, nur bis ich dich erkannte, dann ging ich los, um Tereysa zu holen, und sie hat dein schmutziges Hemd gegen ein frisches getauscht. – Nun muss ich aber wirklich los. Tereysa wird dir später ein Nachtmahl bringen.« Er verließ die Kammer schnell, fast, als wäre er auf der Flucht
Bruder Ruperts dröhnende Stimme riss sie aus dem Schlaf. Juliana blinzelte. Sie lag noch immer in der Kammer des Templerspitals in Rauanal, und sie war allein. Noch immer schmerzte ihr Schädel, doch es kam ihr vor, als würde das Dröhnen nachlassen.
»Danke der Nachfrage, ich werde bleiben«, sagte nun Pater Bertran säuerlich. Sie hatte also nicht geträumt. Die Männer mussten irgendwo unter dem Fenster stehen.
»Ihr hattet es doch so eilig«, erwiderte Bruder Rupert. »Ich
denke, dass Johannes hier gut aufgehoben ist. Der Infirmarius ist zuversichtlich, dass er bald wieder auf die Beine kommt. Ihr könnt also ganz ohne drückende Gewissenslast mit unseren Bekannten aus León weiterwandern.«
»Ich danke Euch für Euren Vorschlag, verehrter Bruder. Ich bin aber der Meinung, dass mein Körper nach einer Ruhepause verlangt. Daher werde ich hier ruhen und auf Johannes’ Genesung warten. Aber ich gebe den Vorschlag gern an Euch weiter: Reist nur unbesorgt mit den anderen Pilgern.«
Juliana hatte das Bild zweier Wölfe vor Augen, die sich umkreisten und versuchten, die Kraft des anderen abzuschätzen.
»Danke, aber ich glaube, ich werde mir auch ein wenig Erholung gönnen, bevor meine Beine den Pass bezwingen müssen. Euch scheint das Wohlergehen unseres lieben Burschen ja sehr am Herzen zu liegen, dass Ihr ihn bis zum Grab des Apostels nicht aus den Augen lassen wollt«, erklang wieder Bruder Ruperts Stimme.
Der Augustinerpater lachte schrill. »Ist es nicht seltsam, dass mir ein ähnlicher Gedanke gekommen ist? Was hat Johannes nur an sich, dass alle so an seinem Wohlergehen interessiert sind?«
Juliana konnte Bruder Rupert geradezu mit den Achseln zucken sehen. »Ich weiß nicht. Sagt Ihr es
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