Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
stürmt über den Hof zum Palas hinüber. Wolf spürt den ganzen Nachmittag die mitleidigen Blicke des Gesindes auf sich ruhen, wohin er auch geht. Natürlich haben ein paar Leute den Zwischenfall mitbekommen. Die Stimme des Ritters war ja laut genug. Und die, die nicht direkt Zeuge waren, haben es inzwischen von den anderen erfahren. Zum Glück weiß Juliana nichts davon. Der Ritter hat sie mit der Mutter, ihrer Kinderfrau und zwei Wächtern zur Begleitung nach Wimpfen geschickt.
Wolf findet keine Ruhe. Er kann nicht einmal etwas essen, und das ist für den ansonsten stets hungrigen Burschen schon außergewöhnlich. Er denkt an Juliana. Vielleicht hat er die Strafe ja doch verdient. Zwar hat er nichts getan, was den Zorn des Herrn rechtfertigen könnte, und Juliana ist selbst in ihren Gedanken noch ein unschuldiges Kind, was sich aber in seinem Kopf zuweilen zuträgt, ist alles andere als kindlich und harmlos zu nennen. Nicht dass es ihm je eingefallen wäre, auch nur ein Wort davon zu dem Mädchen zu sagen oder sie gar zu berühren. Dennoch fühlt er sich ein wenig schuldig. Wie dumm ist er gewesen, sich von ihr überreden zu lassen. Anderseits haben sie die vergangenen Jahre zusammen verbracht. Natürlich sind sie auch früher allein durch den Wald gestreift und an regnerischen Tagen zusammen im Stall bei den Pferden gewesen – oder haben wie heute im Heu gelegen, um sich Geschichten zu erzählen.
Wolf ballt zornig die Fäuste. Was soll dieser Aufschrei der Empörung? Es hat sich nichts geändert! Früher hat der Ritter auch nichts dagegen einzuwenden gehabt, und nun will er ihn plötzlich wegen nichts erstechen!
Er weiß, dass er sich selbst belügt. Es hat sich sehr wohl etwas geändert. Es war um Petrus und Paulus herum, als Sabrina von Ehrenberg stolz verkündete, das Edelfräulein würde nun zu den Frauen gehören. Am Abend ließ der Ritter ein Festessen auftischen, und seitdem muss sich Juliana wie eine Frau kleiden – außer dass sie als Jungfrau ihre blonden Locken offen
tragen darf. Die Zeit der wadenlangen Kittel ist vorbei, die Zeit, mit dem Freund barfuß über die Ländereien zu streifen, und die Zeit, sich mit ihm in einem Heuberg zu verkriechen! Wolf wusste das, und dennoch konnte und wollte er ihrem Drängen nicht widerstehen.
»Wie könnte ich auch«, schimpft er vor sich hin. »Welcher Bursche würde sehenden Auges einen ihrer Wutanfälle heraufbeschwören?!« Das muss der Ritter doch wissen, er, der das gleiche aufbrausende Temperament sein Eigen nennt!
Doch es nützt nichts, er hat wider bessere Wissen nachgegeben, und nun muss er die Folgen tragen, seien sie auch noch so schmerzlich. Verstohlen tastet seine Hand nach dem noch unversehrten Hinterteil.
»Ja, tätschle dir deine Pobacken, solange noch Haut darauf ist«, ertönt eine Stimme hinter ihm. Wolf fährt herum. Seine Wangen glühen vor Scham.
»Heute Abend wirst du dein Essen bestimmt im Stehen einnehmen – und so wie ich den Ritter kenne, die nächsten Tage noch dazu.« Der Türmer lacht, doch in seinen Augen liest der Junge keinen Spott.
»So, dann hat es sich also schon bis auf den Bergfried herumgesprochen« , brummt Wolf.
»Nein, ich habe die Neuigkeit in der Küche erfahren.« Samuel deutet auf einen Korb zu seinen Füßen, in den die Küchenmagd sein Essen für die nächsten beiden Tage gepackt hat. Erst wenn der Korb geleert ist, wird Samuel wieder von seiner Plattform herabsteigen.
»Willst du mir helfen und mein Feuerholz tragen?«
Wolf nickt und greift nach dem zweiten Korb. Er folgt dem alten Türmer die vielen Stufen hinauf bis zu der kleinen Stube direkt unter der Aussichtsplattform.
»Ich habe Met – willst du?« Wolf nickt und nimmt den Becher entgegen. Beide trinken schweigend. Erst als der Knappe sich zur Treppe wendet und die Hand noch einmal zum Gruß hebt, sagt Samuel mit seiner tiefen Stimme:
»Junge, mir ist bewusst, dass es mir nicht zusteht, dir Ratschläge zu erteilen, aber ich will es jetzt dennoch tun. Ich weiß, dass ihr, du und das Fräulein, viele Jahre zusammengehängt seid wie ein paar Kletten, aber dir sollte bewusst sein, dass das vorbei ist – für immer! Ich weiß, dass sie das nicht einsehen will, darum mache du dem ein Ende. Schmerzlich und endgültig! Sie ist nun nicht mehr in deiner Welt. Die Weiber werden dich ins Unglück reißen, wenn du dir das nicht beizeiten klar machst. Suche dir eine nette, junge Magd, und habe mit ihr Spaß. Keiner wird es dir übel nehmen. Du bist
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