Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
Kruzifix an der Wand. Der Erlöser schien sie zu betrachten. Auf einem Hocker vor dem Bett standen eine Schüssel mit rötlich gefärbtem Wasser und einige Tiegel, daneben lagen zusammengefaltete Leinenstreifen. Auf einem zweiten Bett sah sie einen Rucksack und schmutzige Gewänder. Waren das nicht ihre Kleider?
»Juliana!«, seufzte eine Stimme voller Erleichterung.
Das Ritterfräulein sah ein, dass die Zeit gekommen war, den Mann, der an ihrem Bett saß, anzusehen, um dem trügerischen Traum ein Ende zu bereiten. Sie hob die Lider noch ein Stück weiter und fixierte das Gesicht, das sich über sie beugte.
»Wolf!«, krächzte sie und fuhr mit einem solch jähen Ruck auf, dass ihre Köpfe beinahe zusammenstießen. Der Schmerz, den diese Bewegung auslöste, war überwältigend. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie den jungen Mann einen Moment lang an, dann sackte sie in sich zusammen und war erneut bewusstlos. Bis zum Morgen schlief sie, ohne sich ein einziges Mal zu rühren.
Als Juliana das nächste Mal erwachte, saß eine Frau an ihrem Bett und wusch ihr das Gesicht. Sie war schlank und hatte langes, schwarzes Haar. Ihre Haut war dunkel, und ihre Augen
schimmerten in samtigem Braun. Sie konnte kaum älter als fünfundzwanzig sein.
»Ihr seid erwacht«, sagte sie in einer Mischung aus Französisch und Kastilisch. »Wie fühlt Ihr Euch? Meint Ihr, Ihr könnt eine leichte Suppe essen? Mein Name ist Tereysa. Viele nennen mich Schwester Tereysa, obwohl ich das nicht bin.«
Also war es doch nur ein Traum gewesen. Erleichterung und Enttäuschung durchfluteten sie gleichermaßen. Sie nickte, bereute es jedoch sofort, den Kopf bewegt zu haben.
»Was ist geschehen?«, krächzte sie.
Die junge Frau, die sich vom Bett erhoben hatte, drehte sich überrascht um. »Fräulein Juliana, wisst Ihr das denn nicht mehr? Ihr seid in den Wäldern überfallen und niedergeschlagen worden.«
Etwas stimmte hier ganz und gar nicht. Das Mädchen schob die Decke ein Stück weg und sah an sich hinab. Sie trug ein einfaches, sauberes Hemd, das allerdings nicht ihr gehörte. Sie fuhr sich mit der Zunge über die aufgesprungenen Lippen. »Warum nennt Ihr mich so?«
Die Frau hob erstaunt die Augenbrauen. »Ist das nicht Euer Name? Bruder Wolf sagt, Ihr wärt das Edelfräulein Juliana von Ehrenberg. Das stimmt doch, oder?«
Sie nickte nur. Was konnte es jetzt noch nutzen, es abzustreiten? Dass sie kein Knappe war, wusste derjenige, der sie ausgezogen hatte sowieso, und dass er oder sie das für sich behalten könnte, darüber machte sich das Mädchen keine Illusionen. Aber etwas anderes stieß ihr übel auf.
»Bruder Wolf?«
»Nun ja, die Anrede ist nicht ganz richtig. Wolf hat kein Gelübde abgelegt. Er gehört zu den Confratres hier, die sich dem Orden verpflichtet haben, ihn unterstützen und mithelfen, die Straße zu sichern und den Pilgern eine behütete Nacht oder einen ruhigen Ort der Genesung zu geben. Streng genommen gehöre ich auch dazu.«
In Julianas Kopf schwirrte es. Vielleicht war es der Schmerz,
der sie nicht klar denken ließ. »Schwester Tereysa, Ihr seid ein Confratre? «
Sie lachte hell auf. »Ja, es gibt keine Bezeichnung für Frauen, die die Templer und dienenden Brüder mit Geld, Gütern und ihrer Arbeit unterstützen. In Aragón soll es mehr davon geben, reiche Damen des Adels. Ich konnte leider nicht viele weltliche Güter einbringen, obwohl ich eine Nobleza bin. Hier in den wilden Bergen ist eine freie Frau, die im Umfeld des Ordens lebt, schon ein wenig ungewöhnlich. Ich bin mit zweien meiner Mägde hierher gekommen, nachdem mein Gatte nicht weit vom Pass oben erschlagen wurde. Drei Jahre ist das nun schon her.«
Juliana richtete sich vorsichtig auf und blinzelte, um den aufkommenden Schwindel zu vertreiben. »Wo bin ich eigentlich? Und was ist mit meinen Begleitern geschehen?«, wechselte sie das Thema.
»Oh, das könnt Ihr ja nicht wissen. Ihr seid im Pilgerspital der Templer in Rauanal, am Fuß des Iragopasses. Zwei unserer Ritter kamen auf ihrem üblichen Patrouillenritt gerade noch rechtzeitig, um eine Horde Strauchdiebe zu verjagen. Ein paar haben sie erschlagen, die anderen sind ihnen entkommen. Seid unbesorgt, Euren Begleitern ist nichts geschehen. Euer Bruder Rupert scheint ein guter Kämpfer zu sein, der es – trotz seiner Bettelmönchskutte – mit manch einem Tempelritter aufnehmen könnte, sagen die Gerüchte.«
Juliana nickte vorsichtig. »Ja, ich habe ihn einmal gegen
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