Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
wanderte erst nach Neipperg zurück und verbarg mich zwei Tage im Wald und zwischen den Weinbergen. Ich traute mich nicht nach Hause. Der Vater und der Oheim würden eine Erklärung verlangen, warum ich Ehrenberg verlassen habe. Was sollte ich ihnen sagen? Wenn ich ihnen ein paar Ausflüchte auftischte, würden sie mich bestimmt strafen und zu meinem Herrn zurückschicken. Wenn ich ihnen aber die Wahrheit erzählte, würde ich meine Familie damit in Gefahr bringen. Würden sie mir überhaupt Glauben schenken? Ich stahl mir also mein Essen auf den Höfen ringsum zusammen. Am zweiten Tag jedoch erkannte mich einer der Pächter meines Vaters. Ich ahnte, dass er zur Burg gehen würde, um sich zu beschweren.« Wolf seufzte und zuckte mit den Schultern. »Ich musste fort. Da fiel mir Santiago wieder ein – das Grab des Apostels, und so beschloss ich, auf der Straße nach Sankt Jakob zu ziehen, voller Zuversicht, dass er mir meinen weiteren Lebensweg weisen würde.«
»Und, hat er das getan?«, fragte Juliana schnippisch.
Wolf nickte. »Ja, er hat mir meinen Platz auf dieser Welt gezeigt: Er ist hier in Rauanal.«
Wieder schwiegen sie eine Weile. »Du hast geglaubt, der Vater rief seine Worte im Ernst – ich meine, dass er dich töten wollte. Glaubst du das immer noch?«
Wolf musterte das Mädchen, ehe er antwortete. »Damals ja. Ich bin mir sicher, dass er in dieser Nacht seine Worte im Ernst gesprochen hat, und ich will mir nicht vorstellen, was mit mir geschehen wäre, hätten die beiden Ritter mich erwischt. Vermutlich hätte ich das Schicksal des unbekannten Ritters im Verlies teilen müssen.« Juliana zuckte zusammen.
»Heute jedoch fürchte ich den Ritter von Ehrenberg nicht mehr. Er ist kein grausamer Wüterich – wenn nicht gerade der Zorn in ihm hochkocht. Er sprach ganz freundlich, als ich mich ihm schließlich zu erkennen gab, und schlug mir vor, einen Brief an die Eltern mitzunehmen. – Warum siehst du mich so an? Glaubst du, ich habe diese Geschichte erfunden? Es liegt mir fern, deinen Vater in einem schlechten Licht darzustellen. Ich habe nur erzählt, was sich vor vier Jahren zugetragen hat.«
Juliana stieß einen langen Seufzer aus. »Ich glaube dir«, sagte sie leise. »Ich war dabei, als die Leiche des Ritters gefunden wurde. Ich habe sie gerochen, als sich die Tür zum Verlies öffnete, und habe die Reste gesehen, die aus seinem Panzerstiefel ragten.
Wolf blinzelte verwirrt. »Man hat das Verlies geöffnet? Wer? Der Ritter von Ehrenberg selbst?«
Juliana schüttelte den Kopf. »Nein, der Vater war schon auf dem Weg nach Santiago. – Das ist eine lange, komplizierte Geschichte. Hat er dir denn gar nichts gesagt, warum er nach Sankt Jakob reist?«
»Aber nein! Er erwähnte nicht einmal, dass er nach Santiago wollte. Er sprach nur von Ponferrada. Die Templerburg schien ihm wichtig, und er war begierig darauf, sie so schnell wie möglich zu erreichen.«
Die Templer. Immer wieder die Templer. Sie musste mit Wolf darüber sprechen!
»Dekan von Hauenstein hat den Vater zu einer Bußfahrt nach Santiago geschickt, weil er in der Pfalzkapelle Mutters Vetter, den Tempelritter Swicker von Gemmingen-Streichenberg erstochen hat.« Ihre Stimme klang in ihren eigenen Ohren seltsam
fremd. Zwar dachte sie seit Wochen kaum an etwas anderes, dennoch fiel es ihr schwer, diese entsetzliche Tat vor dem Jugendfreund laut auszusprechen.
Wolf blinzelte ungläubig. »Er hat den Tempelritter in der Kapelle erstochen? Warum? Haben sie sich gestritten? Musste er sich gegen einen Angriff verteidigen?«
»Es sah nicht danach aus, als habe Ritter Swicker eine Waffe gegen ihn erhoben«, gab das Mädchen widerstrebend zu. »Erst dachte ich, es ginge um die Ehre – meine Ehre – und dass Vater ihn aus Eifersucht erstochen hat.« Sie sah, wie Wolf nickte. Das schien ihm eine verständliche Erklärung, die zu Kraft von Ehrenbergs Wesen passte.
»Nun allerdings habe ich Hinweise, dass – nun ja, dass der Vater sich etwas aneignen wollte, was dem Tempelritter gehörte, etwas Wichtiges, etwas Wertvolles, hinter dem auch andere her sind.« Die Worte schmerzten sie in der Kehle. Wolf schüttelte ungläubig den Kopf.
»Das kann ich mir nicht vorstellen. Dein Vater hält zu viel auf die Ehre. Er ist eifersüchtig, und sein Jähzorn treibt ihn zu Dingen, die er vielleicht später bereut, doch er ist frei von Habgier. Er würde keinen Mord begehen und seine Ehre aufs Spiel setzen, um etwas zu rauben, sei es auch noch so
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