Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
zugehört, ich habe Eure Worte auch verstanden.«
»Juliana?«, erklingt die Stimme der Mutter.
Ihre Finger umklammern die Lehne des Königssessels. Nicht jetzt! Die Männer in der Kirche werden sie hören.
»Ich denke an eine sehr lange Reise – durch Burgund und Frankreich, über die Pyrenäen hinüber, durch Navarra und Kastilien bis nach Galicien, wo das Ende der Welt zu finden ist.«
Eine kleine Pause tritt in der Kapelle ein. Juliana vernimmt wieder die Stimme der Mutter: »Du musst dich irren, guter Mann, sie ist weggegangen, weil es ihr übel wurde. Nimm deine Fackel und folge mir. Sie wird beim Steinhaus sein oder schon zur Brücke vorgegangen.«
»Bis ans Ende der Welt?«, fragt der Vater.
»Nicht ganz. Die Pilgerreise geht bis zum Grab des heiligen Apostels, nach Santiago de Compostela.«
Kraft von Ehrenberg zieht scharf die Luft ein. »Santiago – Kastilien – ja, ich glaube, ich verstehe Euch.«
»Gut. Lasst mich sehen, was ich machen kann. Sie werden sich dieser kirchlichen Entscheidung nicht so einfach beugen.« Gerold von Hauenstein seufzt. »Wir werden um eine kleine Täuschung nicht herumkommen, wenn Euer Leben noch etwas wert sein soll. Der Herr im Himmel möge mir verzeihen.«
Juliana hört ein Scharren. Sie reckt den Kopf, um über die Brüstung sehen zu können. Der Dekan steht neben dem Toten, die blutige Klinge in den Händen. Es sieht so aus, als wolle er sie auf den Altar legen, dann scheint er sich anders zu besinnen, zieht ein Tuch aus seinem Rock und wickelt die Waffe ein.
»Wem gehört der Dolch?«
»Swicker von Gemmingen-Streichenberg«, sagt der Vater und deutet auf die leere Lederscheide an der Seite des Toten.
Der Stiftsherr nickt. »Das wird nichts ändern. Seid Ihr bereit, mein Freund?«
Er geht zur Tür und umfasst den Knauf. »Nur Mut, ER hat sich nicht von Euch abgewendet. Wenn das meine Überzeugung wäre, glaubt Ihr wirklich, ich würde meine Seele mit der Sünde belasten, einen heimtückischen Mörder seiner gerechten Strafe zu entziehen?«
Ein trauriges Lächeln huscht über das Gesicht des Ehrenbergers. »Ja, das glaube ich, denn Ihr lasst keinen Freund im Stich, egal, was er vor Gott und den Menschen getan hat. Das Heil Eurer eigenen Seele ist nicht Euer erster Gedanke!«
»Schmeichelt mir nicht! Nehmt Abschied, und dann lasst uns gehen.«
Ritter Kraft von Ehrenberg sieht noch einmal zu dem Ermordeten zurück und folgt dann dem Stiftsherrn aus der Kirche. Die Tür fällt hinter den Männern ins Schloss. Stille senkt sich herab. Totenstille. Seltsam eindringlich wird dem Mädchen bewusst, dass es mit dem Ermordeten allein ist, dem Toten, den ihr eigener Vater niedergestochen hat. Sie kann es noch immer
nicht fassen. Schwebt der Geist des Ritters Swicker noch durch die Kapelle? Kommt er zurück, um an der Tochter des Frevlers Rache zu nehmen? Furcht überfällt sie und drängt sie davonzulaufen, so schnell sie kann. Nur mit Mühe gelingt es ihr, ruhig zu bleiben, um auf der dunklen Empore nicht zu stolpern. Endlich schließen sich ihre Finger um den Türknauf. Juliana huscht zurück in den Palas, durchquert den Saal und hastet die Treppe hinunter. Sie erreicht den Hof noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Dekan von Hauenstein einem Wachmann das Schwert des Vaters überreicht.
»Kraft von Ehrenberg, haben wir Euer Wort, dass Ihr nicht entfliehen werdet?«, fragt der Stiftsherr. Der Ritter verspricht es. »Gut, dann folgt mir.«
Der Franzose und der Wappner stellen sich ihm in den Weg. »Wo bringt Ihr ihn hin? Gibt es hier in der Pfalz nicht drei Türme mit Verliesen?«
»Ich habe Euch gesagt, dass das Verbrechen gesühnt wird. Zweifelt Ihr an meinem Wort?«
»Nein«, sagt der Franzose widerstrebend.
»Ich werde ihn nach St. Peter ins Tal bringen«, gibt der Dekan Auskunft. »Da die Tat in einer Kirche begangen wurde, hat auch die Kirche ein berechtigtes Interesse an dem Fall.« Der Wappner öffnet den Mund, wird aber von dem Stiftsherrn mit einer Handbewegung zum Schweigen gebracht. »Obwohl der Ritter sein Wort gegeben hat, nicht zu entfliehen, werde ich zwei Burgmannen zu seiner Bewachung mitnehmen. Das dürfte den Herren sicher genügen!«
Juliana kann spüren, dass die beiden Mitbrüder des Getöteten nicht einverstanden sind, doch sie widersprechen nicht mehr und lassen die vier Männer auf die Zugbrücke zugehen. Juliana fängt den Blick ihres Vaters auf.
Warum?, fragt sie ihn stumm. Er hat Tränen in den Augen. Seine Lippen formen einen
Weitere Kostenlose Bücher