Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
irgendwer ihnen mitteilt, was andere beschlossen haben. Sie will jetzt und hier erfahren, was mit ihrem Vater passieren wird, und sie muss vor allem wissen, warum er das getan hat. Einen Gegner im Kampf töten, ist eine Sache – aber einen anderen Ritter in einer Kirche niederstechen?
»Mutter, mir ist so übel«, klagt sie und presst die Hand auf ihre Leibesmitte.
»Mein Liebes, kein Wunder, bei diesem schrecklichen Anblick, soll ich dich …?«
»Nein, nein«, stößt Juliana hervor und weicht vor der Edelfrau zurück. »Macht Euch keine Sorgen. Ich komme gleich wieder. Bleibt hier!«
Sie wendet sich ab und hastet davon. Sie schlüpft zwischen den Burgmannen hindurch, die in kleinen Gruppen zusammenstehen und miteinander flüstern. Auch ein paar der Frauen sind aus den umliegenden Häusern aufgetaucht. Blutige Neuigkeiten werden schnell wie Leuchtfeuer weitergetragen!
Juliana hält inne und sieht sich um. Ihr ist zwar übel, aber sie hat sich nicht davongemacht, um sich ohne Zuschauer übergeben zu können. Niemand scheint auf sie zu achten. Gut. Sie schiebt das Tor zum Palas auf und schlüpft in den unteren Saal. Rock und Mantel gerafft, tastet sie sich zur Treppe. Ein Blitz erhellt kurz den Arkadengang und den großen Saal, in dem der König seine Empfänge gibt und seine Feste feiert. Juliana huscht über den Steinboden zur gegenüberliegenden Wand. Die schmale Tür zwischen den Wandbehängen ist geschlossen. Juliana drückt die Klinke herunter und zieht die Tür zaghaft ein
Stück auf. Wenn sie nur nicht quietscht! Immerhin ist bereits ein Jahr vergangen, seit der König sie zum letzten Mal benutzt hat.
Zu ihrer Erleichterung öffnet sie sich völlig geräuschlos. Juliana erkennt die Stimme von Gerold von Hauenstein und dann die des Vaters. Zaghaft tritt sie auf die Königsempore hinaus und schiebt sich dann geduckt bis an das Geländer.
»Ich werde ihnen berichten, dass er sofort tot war und nichts mehr sagen konnte«, dringt die Stimme des Dekans zu ihr herauf. »Glaubt mir, mein Freund, es ist besser so.«
»Oh ja«, sagt der Vater mit bitterer Stimme. »Wer ist schon bereit, sich die ganze Wahrheit anzuhören …«
»… und ihr dann noch Glauben zu schenken«, fügt der Dekan grimmig hinzu.
»Nun, dann werde ich Euch wohl um eine weitere gute Tat bitten, verehrter Freund, bevor Ihr das letzte Gebet für mich sprecht und meinen Tod betrauert, denn sterben werde ich müssen. Ihr wisst, wie stolz sie sind. Sie werden keine Ruhe geben, ehe ihr Ordensbruder gerächt ist. Bitte sorgt dafür, dass ein Schwert mir den Kopf vom Hals trennt. Der schimpfliche Makel des Galgens würde meiner Familie ewig anhängen.«
Juliana schlägt die Hand vor den Mund, um den aufsteigenden Schrei zu unterdrücken. Das kann nicht sein. Das darf nicht sein!
Der Vater seufzt. »Es war dumm von mir anzunehmen, Gott könnte vergessen. Der Allmächtige vergisst keine Tat. Er lässt sich nur manches Mal Zeit, bis er sein flammendes Schwert zückt, um es strafend herabsausen zu lassen. Ich habe es verdient und bin bereit, SEINE Entscheidung anzunehmen.«
»Redet keinen Unsinn«, fährt ihn Gerold von Hauenstein an. »Der Herr vergisst nicht, da habt Ihr Recht, aber er vergibt.« Anklagend zeigt er auf die blutige Leiche zu ihren Füßen. »Das ist nicht die Strafe Gottes. So einfach dürfen wir es uns nicht machen. Wie leicht ist es, die Hände in den Schoß zu legen und alles SEINEM Willen zuzuschreiben.«
»Einfach, sich dem Henker zu übergeben?«, braust Kraft von Ehrenberg auf.
»Nichts tun ist immer einfacher als handeln!«
Der Vater setzt zum Widerspruch an, aber der Dekan gebietet ihm zu schweigen.
»Ruhig jetzt, wir haben nicht viel Zeit. Es gibt eine andere Möglichkeit, und ich glaube, sie wird dem Allmächtigen gefallen. Wir haben schnell zu handeln. Ihr müsst fort von hier, Freund, auf unbekannten Pfaden gehen, und nur der Herr im Himmel kann sagen, ob Ihr Euer Ziel erreicht und ob Ihr jemals zurückkehren werdet. Dann jedoch wäre Euer Gewissen und Euer Name wieder rein – und Euer Versprechen erfüllt.«
»Ich glaube, Ihr habt nicht verstanden, was ich Euch gesagt habe«, schnaubt der Ritter. »Ist Euer Gedächtnis so kurz?«
Unten im Palas wird die Tür geöffnet. »Ich dachte, ich hätte das Fräulein hier hineingehen sehen«, dringt eine Männerstimme bis zu Juliana in ihrem Versteck.
»Mit meinem Gedächtnis ist alles in Ordnung«, versichert ihm der Dekan, »und ich habe nicht nur sehr genau
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