Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
er so in Eile.«
Da war sie wieder, diese Beklemmung, und dieses Mal so stark, dass sie Juliana vor sich nicht mehr verleugnen konnte. Sie musste sich eingestehen, dass das ungute Gefühl schon beim ersten Blick auf den Reiter in ihr aufgekeimt war.
So ein Unsinn!, schimpfte sie sich im Stillen. Sei kein hysterisches Weib. Nur weil er eine Franziskanerkutte trägt wie Bruder Rupert? Es musste inzwischen Tausende Männer geben, die dem heiligen Franz von Assisi nacheiferten und in seine Bruderschaft eingetreten waren. Sie hatte gehört, der Heilige wäre sogar selbst diesen Weg gepilgert und habe auf seiner Reise Klöster gegründet. Und doch konnte sie den finsteren Bruder Rupert nicht mehr aus ihren Gedanken verdrängen. Als sie ihren Weg fortsetzten, hörte sie André kaum zu, der nun plötzlich wieder munter war und erzählte, was er über die Orte an ihrem Weg gehört hatte.
»Bald erreichen wir die große Stadt Pampalona. Ich bin schon sehr gespannt! Sieh nur, dort drüben hinter der Brücke kannst du die Basilika der Dreieinigkeit erkennen. Das Hospital gehört den Augustinerherrn von Roncesuailles, wie auch das Kloster, in dem wir heute die Nacht zugebracht haben. Sie müssen ihnen Abgaben bezahlen. Fray Lorenzo hat mir gestern Abend davon erzählt.«
Sie passierten die vielbögige Brücke und sahen auf das Wasser herab, das hier schäumend über felsige Abbrüche rauschte. Juliana und André beobachteten ein paar Männer, die an einem hölzernen Mühlrad arbeiteten. Andere waren dabei, die Flechtwände der neuen Mühle aufzurichten. Auf einem Karren lag bereits der untere Teil des Mühlsteines. Sicher würde die Kraft mehrerer Männer nötig sein, um ihn an seinen Platz zu wuchten.
Die beiden Pilger gingen weiter. Nicht einmal eine Stunde später trafen sie wieder auf den Río Arga, der sich wie eine Schlange nach Westen wand. Sie schritten über die Puente Magdalena, hinter der sich die Mauern von Pampalona aus der grünen Flussaue in den Nachmittagshimmel reckten.
»Sprecht Ihr Baskisch? Spanisch? Französisch?«, schallte ihnen eine Stimme entgegen, noch ehe sie das Stadttor erreichten. Ein zerlumpter Junge von acht oder neun Jahren trat ihnen in den Weg. »Ich kann auch ein wenig Italienisch. Wollen die Herren eine Führung durch die drei Städte? Bitte, ich weiß alles und erzähle Euch spannende Geschichten. Es kostet Euch nur zwei sanchete oder ein tornés chico oder was Ihr an kleinen Münzen dabeihabt. Ich nehme alles. Die Juden wechseln sie mir. Bitte, überlegt es Euch, ob Ihr es riskieren wollt, in dieser berühmten Stadt eine wichtige Sehenswürdigkeit zu versäumen.« Nun musste der Junge Luft holen.
»Verschwinde!«, raunzte ihn André an und hob die Hand, als wolle er ihm eine Ohrfeige verpassen. Der Junge duckte sich, wich aber nur einen Schritt zurück und sah noch immer abwechselnd von einem zum anderen.
»Kennst du die Geschichte von Kaiser Karl und dem Ritter Roland?«, wollte Juliana wissen.
»Sí, sí, Carlomagno. Ich kenne alle Geschichten, die der Franken und die der Basken. Ihr müsst mir nur sagen, auf welcher
Seite Ihr steht und wer der Held sein soll.« Er streckte seine schmutzige Hand aus und sah Juliana aus weit aufgerissenen Kinderaugen an.
Ihr entfuhr ein Lachen. »Du bist hartnäckig und geschäftstüchtig, mein Kleiner.« Sie kramte eine Kupfermünze aus ihrem Beutel. »Mehr kann ich nicht entbehren. Für wie viele Geschichten reicht das?«
Der Junge betrachtete die Münze und ließ sie in seinem Kittel verschwinden. Dann streckte er André die Hand entgegen. »Wenn der edle Herr auch noch eine Münze hat, dann darf er die Geschichten ebenfalls hören, und ich führe Euch zu San Nicolás, San Lorenzo und zu San Cernín – und zum Palast des Königs natürlich.«
André schwankte zwischen Lachen und Ärger, gab dem Knirps schließlich aber eine Münze. »Gut, dann wollen wir aber den Kaiser als Helden. Wie heißt du?«
»Miguel, nach dem Erzengel«, sagte der Junge, zog sich den viel zu weiten Kittel zurecht und winkte ihnen, ihm an der Mauer entlang zum Nordtor zu folgen, während er sogleich mit seiner Geschichte über Karl den Großen begann.
»Wenn Ihr es vorzieht, den fränkischen Spielleuten zu glauben, dann war Pampalona zu dieser Zeit eine von Heiden und grimmigen Muselmanen bewohnte Stadt.« Er zog eine Grimasse, um zu zeigen, was er von dieser Version hielt. »Drei Monate belagerte Carlomagno die uneinnehmbaren Mauern ohne Erfolg. Dann kniete er
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