Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
ohnehin noch gewohnt, dass die Leute mich duzen.«
Juliana betrachtete ihn. Eigentlich schien ihr der dunkelhaarige junge Mann sympathisch und keineswegs gefährlich.
»Ritter André de Gy? Ihr seid Franzose? Wo habt Ihr so gut Deutsch sprechen gelernt? Es klingt vertraut. Man kann kaum einen Akzent hören.«
»Gott bewahre, ich bin kein Franzose«, wehrte André ab. »Ich bin Burgunder. Aus der Freigrafschaft, nicht aus dem Herzogtum. Wir gehören also auch zum deutschen Kaiserreich.« Er zwinkerte. »Aber gelebt habe ich seit meinem siebten Lebensjahr bei meinem Oheim auf Burg Wildenstein an der Donau – erst als Page und dann als Knappe.«
»Wildenstein an der Donau«, wiederholte Juliana. Das erklärte alles.
»Dreizehn Jahre war ich dort, bis zu meinem Ritterschlag, dann habe ich mich in die Heimat aufgemacht, um meine Eltern zu sehen …« Er brach ab. Seine Miene verdüsterte sich, als habe sich eine Wolke vor die Sonne geschoben. Er schüttelte den Kopf, dann wandte er seinen Blick wieder Juliana zu. Sie wollte ihn eben fragen, warum die Schwertscheide an seiner Seite leer war, als er fortfuhr: »Was ist mit dir? Du hast mir noch immer nicht deinen Namen verraten. Wo kommst du her? Wie es sich anhört, aus Franken.«
»Ich heiße Johannes – von Ehrenberg, wo der Neckar und die Jagst zusammenfließen«, fügte sie unter seinem fragenden Blick hinzu und schalt sich sofort der Dummheit, Ehrenberg genannt zu haben. Anderseits, was konnte es schaden? Sicher war der junge Mann aus Burgund nie an den Neckar gekommen oder hatte jemanden ihrer Familie kennen gelernt.
»Ist dein Vater ein Edelfreier?«, wollte André wissen.
»Ein ehrenhafter Ritter«, stieß sie mit mehr Heftigkeit hervor, als sie es vorgehabt hatte.
André zog die Brauen zusammen. »Das hatte ich nicht bezweifelt. Du allerdings scheinst mir für den Ritterschlag noch zu jung.«
Juliana nickte schwach. Der junge Ritter de Gy sprang auf die Füße. »Genug geruht. Der Tag verrinnt, und wir sollten uns auf den Weg machen, wenn wir Pampalona heute noch erreichen wollen.«
Das Mädchen erhob sich ebenfalls und klopfte sich den Staub von den Kleidern. Sie wanderte neben André her und lauschte ihren Gefühlen. Nein, da war nichts, das sie vor ihm warnte. Anscheinend war er wirklich nur ein harmloser junger Ritter auf dem Weg nach Santiago.
6
Die Nacht des Mordes
Wimpfen im Jahre des Herrn 1307
D ie Nacht ist inzwischen hereingebrochen. Ein böiger Wind fegt über den Hof der Pfalz. Die Luft ist drückend schwül. In der Ferne zuckt ein Blitz über den Himmel und erhellt für einen Moment den Wolkenturm, den der Wind auf die Stadt zuschiebt. Auf der Plattform der Hochwarte zündet der Türmer eine Lampe an. Im Geist ist Juliana mit ihm auf dem hohen Turm und schaut nach Norden, wo sie über die kahlen Bergkuppen hinweg die Spitzen der anderen Bergfriede sehen kann, auf denen die Türmer ebenfalls die Lampen mit Öl befüllen. Sie alle gehören zu einem Netz von Burgen, die gemeinsam der kaiserlichen Pfalz Schutz geben: Hornberg, Guttenberg und Horneck, die Burg der Deutschordensherrn, und natürlich Ehrenberg, das Wimpfen am nächsten liegt und wo der Oheim die Mannen überwacht, solange der Ritter Kraft von Ehrenberg mit seiner Familie in Wimpfen und der Pfalz weilt.
Wachsam blicken die Türmer in die Nacht und warnen bei Kriegs- und Feuergefahr. Dann geht das Signal von Turm zu Turm, schneller, als ein Falke fliegen kann.
»Kind, wir sollten gehen«, drängt die Mutter. Sie klingt so hilflos. »Wenn das Gewitter kommt…« Sie lässt die Worte in der Nacht verklingen.
Das Gewitter? Ist es denn nicht schon da? Bricht nicht in diesem Augenblick der schlimmste Sturm über die Familie von Ehrenberg herein, den Juliana bisher erlebt hat? Wird er nicht alles zerstören, was sie bisher kennt? Noch immer klingen ihr die Worte des Wappners in den Ohren, und seine Stimme voller Zorn und Hass. »Heimtückischer Mörder! Holt die Wachen! Verhaftet ihn! Hängt ihn an den nächsten Baum!«
»Ich warte auf den Vater!«, stößt Juliana hervor.
Die Edelfrau gibt einen fiependen Laut von sich. Ihre Schultern beben. »Wir können jetzt nichts tun. Komm mit, ehe wir bis auf die Haut durchnässt werden.«
Es schmerzt Juliana zu sehen, dass die Mutter genauso ratlos ist wie sie selbst. Die Edelfrau flüchtet sich in den Alltag und in das Warten, wie man es ihr beigebracht hat, aber Juliana will nicht nach Hause gehen und warten, bis
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