Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
nieder und flehte unseren San Jacobo um Hilfe an.« In einer Art Singsang sprach er die Verse: »Da zerbarsten, aufgrund der Bitten des heiligen Jakobs, die Mauern von ihren Grundfesten aus. Den Sarazenen, die sich taufen ließen, wurde das Leben geschenkt; diejenigen, die es ablehnten, kamen unters Messer.« Der Junge räusperte sich und spuckte in den Morast. »Sarazenen in Pampalona«, sagte er verächtlich. »Es war nicht die Taufe, die darüber entschied, wer eine Klinge in den Leib bekam.« Leise fügte er hinzu. »Ich frage mich immer wieder, ob Iacobus uns damals wirklich verraten hat.«
Pampalona bestand aus drei einzeln ummauerten Stadtteilen. Miguel führte sie ein Stück an der Außenmauer entlang, die vom Fluss aus gesehen beeindruckend hoch über ihnen aufragte. Sie reihten sich in den immer dichter werdenden Strom aus Menschen, Karren und Vieh ein, der auf das Stadttor zustrebte.
»Das ist das Portal del Abrevador«, sagte der Junge. »Von dort kommen auch heute noch die Fremden, die sich in der Stadt niederlassen… Allerdings nicht hier in den Mauern um die Kathedrale, denn dieses Viertel gehört den echten Navarresen. Außer den Juden, die in den Gassen südlich der Kathedrale wohnen, gibt es hier keine Fremden. Wir nennen unsere Stadt übrigens Irunga.«
Er führte sie zur Kathedrale und zeigte ihnen die größte Pilgerunterkunft, die direkt an ihre Mauern angebaut war. Dort drängten sich viele Männer und ein paar Frauen, meist an ihren zerlumpten Gewändern, an den Stäben und Kürbisflaschen als Pilger zu erkennen. Ein paar von ihnen trugen stolz die Jakobsmuschel am Hut oder an die Brust geheftet, zum Zeichen, dass sie ihr Ziel bereits gesehen hatten.
Während Miguel die beiden Fremden über den Platz vor der Kathedrale führte, erzählte er vom berühmten König Sancho el Mayor, der die Stadt zu Reichtum und Glanz geführt hatte.
Durch das Westportal betraten die drei die Kirche. Julianas Blick fiel auf die düster vor ihnen aufragende Rückwand des Chorgestühls, das das Mittelschiff fast völlig einnahm und ihnen den Blick auf den Altar verwehrte. Sie schritten durch das Seitenschiff an der mit beschädigten Schnitzereien versehenen Wand vorbei, die bis zur dritten Säule reichte.
Die Kathedrale war in einem erbärmlichen Zustand. Figuren waren von ihren Sockeln gestürzt, Schmuckwerk von den Wänden gerissen. In manchen Bereichen drohte gar der Einsturz. Zwar sah Juliana ein paar Gerüste, auch waren manche Bogen mit Holzstempeln abgestützt, sie konnte jedoch keine Handwerker entdecken, die sich der Schäden annahmen.
Dafür wurde am Kreuzgang eifrig gebaut. Mehrere Steinmetze saßen im Hof und formten Sandsteinblöcke für das prächtige Maßwerk der Spitzbogen, die den Innenhof mit dem Brunnen umfassten.
Miguel fuhr mit seiner Geschichte fort. »Der König war recht großzügig mit seinen Privilegien, die er an die Franken in San Cernín und San Nicolás gab. Das erfreute die alteingesessenen Basken nicht gerade. Und dann, vor dreißig Jahren, loderte der bis dahin schwelende Zorn in hellem Hass auf. Ein fränkisches Aufgebot von bewaffneten Männern stürmte die Navarrería. Sie plünderten die Kathedrale und zerstörten viele Häuser. Noch heute sind die Schäden an vielen Stellen zu sehen. Nun will der König ein Castillo in die Mitte bauen, das zu keinem der Viertel gehört, um die Navarrería zu schützen. Einen Graben haben sie schon ausgehoben, dort wo die Mauern hochwachsen sollen. Wir werden daran vorbeikommen, wenn wir nach San Nicolás hinübergehen.«
Sie passierten zwei Tore und durchschritten das Frankenviertel San Nicolás. Miguel plapperte ohne Unterlass, zeigte auf Kirchen und Klöster und wusste zu jedem Bauwerk eine Anekdote zu berichten. Inzwischen hatten sie das nördliche Barrio erreicht und standen vor der trutzigen Wehrkirche San Cernín, die sich an die Stadtmauer lehnte.
»Wie lange bleiben die Herren in Pampalona?«, wollte der Junge wissen, als ihm keine Geschichte mehr einfiel. »Soll ich Euch ein gutes Quartier empfehlen? Alle Pilger rasten hier – viele für ein paar Tage!«
Juliana fuhr herum. »Alle Pilger? Bist du sicher, dass jeder in der Stadt Quartier nimmt?«
»Aber ja!« Miguel nickte heftig mit dem Kopf. »Es ist die wichtigste Stadt in Navarra.«
Die Erregung stieg ganz plötzlich in Juliana hoch. »Kennst du alle Spitäler und Pilgerherbergen?«
Wieder nickte der Junge. »Das sind eine ganze Menge. Die größte Armenherberge ist
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