Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
Leiche zu finden?
Jean de Folliaco starrt den Hauspater an, so, als könne er nicht fassen, was dieses Männlein sich erdreistet. Er setzt sich aufrecht hin und strafft die Brust.
»Der Wappner und ich verspürten lediglich den Drang, die Grube hinter dem Palas aufzusuchen, was nach einem üppigen Mahl und noch mehr Wein sicher nicht unverständlich ist, Pater.« Er lässt den Blick verächtlich über die aufgeschwemmte Gestalt wandern. »Es kam mir merkwürdig vor, dass auf Eurer Burg des Nachts Frauenzimmer, nur mit ihrem Hemd bekleidet, umhergehen. Und – welch Erstaunen – nicht irgendwelche Mägde, nein, die Edeljungfrau!« Er spricht das Wort mit solch einem Spott aus, dass Julianas Wangen rot aufflammen.
»Fragt das Fräulein, was es vorhatte, oder sollte man eher fragen mit wem?«
Vater und Sohn von Kochendorf starren sie an. Juliana schnappt nach Luft. Was unterstellt er ihr? Wie kann er es wagen? Sie ist zu empört, um ihre Gedanken in Worte zu fassen und aussprechen zu können. Die Männer waren doch vor ihr im Turm. Sie war es, die den Templern folgte! Noch ehe sie den Franzosen der Lüge bezichtigen kann, hört sie die Mutter ihren Namen sagen. Es schwingt so viel Fassungslosigkeit und Enttäuschung in diesen Worten, dass dem Mädchen Tränen in die Augen schießen.
»Juliana, geh sofort hinauf in deine Kammer!«
»Mutter!«
»Kein Wort! Du wirst auf mich warten. Ich komme später, um mit dir zu sprechen.«
Was bleibt ihr anderes übrig. Sie kann es nicht ertragen, zu den Templern oder den von Kochendorf hinüberzusehen. Zu sehr fürchtet sie sich davor, in den einen Triumph und in den anderen Verachtung zu lesen. Das Letzte, was sie hört, ehe sie die Halle verlässt, sind die Worte des Franzosen, der Aufklärung verlangt. Er will alles wissen, über den Vater und über die Burg!
Mit schweren Schritten erklimmt das Edelfräulein die Stufen und tritt in ihre Kammer. Die Kinderfrau hat die Kohlenpfanne neu gefüllt und zwei Lampen angezündet.
»Kommt schnell unter die warme Decke. Ihr erkältet Euch sonst.«
Juliana lässt sich ins Bett schieben, findet aber die ganze Nacht keinen Schlaf.
Der Morgen beginnt trübe und grau. Juliana sitzt am Fenster und starrt in den Regen, der wispernd auf Mauern und Hof niedergeht. Stunden verrinnen, sie regt sich nicht. Doch falls sie darauf hofft, mit ihrem Körper auch den Geist zum Erstarren bringen zu können, so wird sie enttäuscht. Es scheint gar, dass
der Gedankenfluss noch turbulenter wird, während ihre Hände reglos im Schoß liegen.
»Fräulein, kommt vom Fenster weg, Ihr werdet Euch erkälten« , mahnt die Kinderfrau mit der erhobenen Stimme der Schwerhörigen. Ihre vom Rheuma gekrümmten Finger plagen sich mit einem Stickmuster. Juliana reagiert nicht. Sie starrt weiter auf den Hof hinaus. Sie sieht die beiden Templer, die aus der Torstube treten, auf die Schildmauer steigen und zum Turm hinübergehen. Sie haben heute sicher schon alle Räume der Burg dreimal betreten. Was tun sie da? Suchen sie Hinweise auf den toten Ritter, den sie im Gewölbe entdeckt haben oder einen Fingerzeig, wo der Vater zu finden ist? Kennen sie den Toten? War er gar einer der ihren? Juliana hat die Leiche nicht gesehen. Die Burgmannen haben sie erst aus dem Verlies geholt, als sie schon in ihre Kammer verbannt worden war.
Was weiß die Mutter darüber? Schweigt sie noch immer, oder hat sie den Templern irgendetwas erzählt? So viele Fragen und keiner, der kommt, um sie ihr zu beantworten.
Gerda legt den Stickrahmen weg, stemmt sich aus dem Scherenstuhl hoch und humpelt zu ihrem Schützling. »Liebes Fräulein, es wird sich schon alles zum Guten wenden, nun grämt Euch nicht so. Die Mutter hat Euch längst verziehen.«
Sie legt ihre verkrüppelten Hände auf die jungen, schlanken des Edelfräuleins.
»Soll ich den Vorhang nicht lieber schließen? Der feuchte Zug ist Gift für die Gesundheit.« Sie greift nach dem schweren, roten Stoff, lässt ihn aber wieder fahren, als Juliana ablehnend die Stirn runzelt. »Dann bedeckt Euch wenigstens Eure empfindliche Haut!«, mahnt sie. Sie legt dem Mädchen ein Tuch um die Schultern und zupft die Enden sorgsam zurecht, dass Hals und Dekolleté bedeckt sind.
»Ach, mein Kind«, seufzt sie, »wie konnte das alles nur so kommen?«
Das ist auch die Frage, die Juliana im Herzen brennt. Wieder
greift die alte Kinderfrau nach den Händen ihres erwachsenen Schützlings.
»Kopf hoch, meine Liebe. Die Ritter von Kochendorf
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