Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
heiseres Flüstern.
»Nein, ich habe ihn nicht gefragt. Das Fieber hatte seinem Verstand bereits die Klarheit geraubt, als ich mit seiner Pflege betraut wurde. Ich weiß nur, dass er in den letzten Stunden seines Lebens deutsch sprach.«
Zum zweiten Mal an diesem Tag verlor ihr Gesicht jede Farbe. Sie vergaß, dass Bruder Rupert hinter ihr stand und sie mit starrer Miene beobachtete. Juliana fühlte, wie ihr Mund trocken wurde und ihre Knie weich. Sie krallte sich an das steinerne
Geländer des Treppenaufgangs, hinter dem der Fels mehrere Manneslängen senkrecht zu einem Platz abfiel.
»Ihr habt ihn schon begraben?«
»Aber ja«, nickte der Mönch. »Gerade die Fiebertoten bringen wir noch in derselben Stunde unter die Erde. Warum fragst du? Bist du auf der Suche nach jemandem?«
»Ja«, gab das Mädchen zögernd zu. »Ein Verwandter ist ein paar Wochen vor mir aufgebrochen. Ein naher Verwandter, den ich einzuholen suche.«
Der Mönch umklammerte den Sack mit dem Toten, der ihm zu entgleiten drohte, fester. »Willst du dir sein Bündel ansehen? Er hatte ein Medaillon mit einem Bild darin. Vielleicht erkennst du es. Wir heben die Habseligkeiten der Toten immer eine Weile auf, ehe wir sie an die Armen verteilen, und warten ob sich nicht ein Verwandter meldet.«
»Gut, dann soll sich Johannes das Bildnis und die anderen Dinge ansehen, ob er sie erkennt«, mischte sich Bruder Rupert ein und griff nach dem Leichensack. Ihm bereitete es anscheinend keine Schwierigkeiten, den Körper die Treppe hinaufzutragen. Sie luden den Toten auf einem Stück umgegrabener Erde ab und folgten dann den beiden Mönchen zu einer Kammer, in der eine ganze Anzahl von Taschen und Kleiderbündeln aufbewahrt wurden. Juliana wurde ganz mulmig beim Anblick dieser zurückgelassenen Habseligkeiten. Einer der Brüder nahm ein zusammengeschnürtes Bündel und legte es auf den Tisch.
»Sterben denn so viele Pilger auf ihrem Weg?«, fragte das Mädchen.
Beide Mönche aus Stella nickten. »Ja, es ist ein großes Geschenk Gottes, wenn man gesund nach Santiago gelangt und auch den Rückweg in die Heimat unbeschadet übersteht.«
Mit zitternden Fingern faltete Juliana die Kleider des Toten auseinander. Sie kannte sie nicht. Der fremde Mönch reichte ihr das Medaillon, das an einem Lederband befestigt war. Sicher hatte es einst an einer Goldkette gehangen, doch diese konnte
auf der Reise zerrissen, verloren gegangen oder gegen ein wichtiges Gut eingetauscht worden sein. Das Mädchen schaffte es nicht, die Kapsel zu öffnen. Bruder Rupert nahm ihr das Geschmeide aus der Hand, drückte den winzigen Sporn und hielt ihr dann das aufgeklappte Kleinod hin.
»Nun?«, fragte er, nachdem Juliana eine ganze Weile reglos auf das Bild gestarrt hatte. »Ist das dein – naher Verwandter?«
Es fiel ihr schwer, ihren Blick von dem Gesicht der dunkelhaarigen, jungen Frau loszureißen und Bruder Rupert anzusehen, dessen Anwesenheit sich erst jetzt unangenehm in ihr Bewusstsein drängte.
»Nein«, stieß sie mit einem Seufzer aus und gab dem Mönch das Medaillon zurück. »Ich habe diese Frau noch nie gesehen. Ich glaube nicht, dass der Tote mein – also, dass ich ihn kenne, er zur Familie gehört«, stotterte sie.
Der Mönch legte Kleider und Pilgertasche zu den anderen Sachen in das Regal zurück, verbeugte sich vor den beiden Pilgern und führte sie durch den Kreuzgang zurück bis hinaus zum Kirchenportal. Hier verabschiedete er sich, um zu dem Toten zurückzukehren und ihn zu beerdigen.
Unter dem arabisch anmutenden Tor blieb das Ritterfräulein stehen und sah die Treppe hinunter zum Königspalast, um dem Bettelmönch nicht in die Augen sehen zu müssen.
»Ihr wundert Euch vielleicht«, begann sie zögernd, aber Bruder Rupert unterbrach sie: »Wenn du mir keine Erklärung gibst, dann musst du mich auch nicht anlügen. Warum unnötig die Last der Sünden vermehren?«
Leichtfüßig lief er die Treppe hinunter, so dass dem Mädchen nichts anderes übrig blieb, als ihm zu folgen.
»Wir sollten uns eilen. Ich weiß nicht, wann sie hier die Tore schließen, und wir müssen noch über den Fluss und dann hinaus zum Kloster des Francisco.«
»Ihr könnt gern zu Euren Brüdern gehen. Ich werde die Nacht in San Benito verbringen«, widersprach das Mädchen mit fester Stimme.
»Vermisst du unseren lieben Pater Bertran? Ich finde seine verkniffene Miene und die Klappergestalt nicht dazu angetan, ihn ins Herz zu schließen. Oder ist es vielleicht der schöne,
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