Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
wieder vollständig gelöscht werden würde.
Jammere nicht!, rief sie sich selbst zur Ordnung. Ist es nicht dein Wunsch, so schnell wie möglich voranzukommen? Wie willst du den Vater einholen, wenn du nicht jeden Tag ein paar Stunden länger unterwegs bist? Ausruhen kannst du dich, wenn du zusammen mit ihm zurück auf Ehrenberg bist.
Für einen Moment wärmte dieser Gedanke ihre Seele und vertrieb die Qualen des Körpers. Es würde schon gehen. Schritt für Schritt. Immer einen Fuß vor den anderen im Rhythmus des Stabes in ihrer Hand. Zum Glück mussten sie keine weiteren Berge überwinden, und das Glühen der Sonne ließ nach, je
tiefer sie sich herabsenkte. Dennoch strahlte die trockene Erde wie ein Backofen, als wolle sie die Sohlen verbrennen. Wenn doch nur ein kühlender Wind aufkommen würde! Die Wanderer überquerten einen Bach, hinter dem die Straße leicht anstieg. Endlich tauchte die Komturei Sansol mit dem dazugehörigen Weiler auf.
Wasser, konnte das Fräulein nur noch denken, Essen und Schlafen. Sie fühlte sich wie zerschlagen – nun ja, ein wenig traf das ja den Kern der Sache.
»Seht«, rief André, der neben der Kirche an eine Mauerbrüstung getreten war, und deutete nach vorn. »So nah und doch für immer getrennt!«
Die untergehende Sonne blendete sie, als sie jedoch mit ihrer Hand die Strahlen abschirmte und sich zu ihm gesellte, konnte das Mädchen sehen, was er meinte. Direkt hinter der Mauer fiel der Hang steil in eine Schlucht ab, die auf der gegenüberliegenden Seite wieder anstieg. Dort breitete sich, zum Greifen nah, eine zweite Ansiedlung aus.
»Torres 13 «, sagte der Augustiner. »Santo Sepulcro«, murmelte Ritter Raymond. »Man kann das Oktogon von hier erahnen.«
Bevor sich Juliana darüber wundern konnte, dass der Ritter sich für eine Kirche interessierte, ja sogar ihren Namen wusste, rief André aufgeregt: »Eine achteckige Kirche? Wie Eunate? Sind die Tempelritter in Torres?«
Er ignorierte Bruder Ruperts gequältes Stöhnen und richtete stattdessen seinen Blick erwartungsvoll auf Pater Bertran. Dieser nickte.
»Ja, es sind stets zwei oder drei Templer dort, um nachts die Flamme in der Laterne zu bewachen und bei schlechtem Wetter die Glocke zu läuten. Meist sind nur Servienten da. Manches Mal finden aber auch Versammlungen von Rittern statt.«
Andrés Augen leuchteten. Erschöpfung und Schmerzen schienen
vergessen. »Gehen wir hinüber? Wir finden dort sicher ein Lager.« Er wandte sich an Juliana und sah das Mädchen flehend an. »Komm, es ist noch nicht dunkel. So weit scheint es bis zur anderen Seite nicht zu sein.«
»Die Templer dort nehmen keine Pilger auf«, mischte sich Ritter Raymond ein.
Falls André auf Julianas Unterstützung gehofft hatte, wurde er enttäuscht.
»Ich möchte heute nicht mehr dort hinuntersteigen!«, sagte sie bestimmt und zeigte anklagend auf den steilen Abbruch, der in die Schlucht abfiel. »Ich bleibe hier!« Das Ritterfräulein wandte sich ab und schritt auf das Tor der Komturei von Sansol zu. André beeilte sich, ihr zu folgen, doch sie schenkte ihm keine Beachtung. Hatte sie ihm am Nachmittag seines Angriffs wegen noch nicht gezürnt, so war der Groll in ihr in den vergangenen Stunden mit den Schmerzen stetig gewachsen. War der Weg nicht hart genug? Musste man sich da noch die Fäuste ins Gesicht schlagen? Schweigend setzte sie sich in der kargen Kammer, die den Pilgern als Refektorium dienten, an einen Tisch, schlang den wässrigen Inhalt ihrer Schale hinunter und verkroch sich danach sogleich unter einer Decke.
War es denn schon Morgen? Juliana rieb sich die Augen. Das konnte nicht sein. Es war noch völlig dunkel in dem kleinen Raum, in dem sie mit acht anderen Pilgern dicht an dicht auf Strohsäcken die Nacht verbrachte. Drüben unter dem Fenster lagen ein Kürschner mit Weib und Sohn, neben ihr wälzte sich ein alter Mann auf seiner Matratze.
Ihr Magen knurrte. Kein Wunder, bei dem kärglichen Mahl, das nicht einmal den ersten Hunger gestillt hatte. Alle waren sie mit hungrigen Bäuchen zu ihren Lagern geschlichen. Lange hatte das Mädchen keinen Schlaf gefunden, nicht nur des Hungers wegen. Das Ungeziefer in den Matratzen plagte sie heute
besonders. Die Stiche der Flöhe schwollen zu roten Pusteln an und verliefen wie eine Perlenkette entlang der Ränder ihrer Bruech. Hinzu kamen heute schmerzhafte Wanzenbisse. Endlich hatte die Erschöpfung sie in den Schlaf gezogen, doch bald schon schreckte sie wieder hoch.
»Bleibt
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