Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
Swicker? Ein seltsames Gefühl sagte dem Mädchen, dass die Antwort auf diese Frage entscheidend war und sie dem Verstehen des Rätsels ein Stück näher bringen würde. Konnte sie die Antwort finden, ohne sie aus des Vaters Mund zu hören? Würde sie sie erkennen, wenn sie sich alle Situationen und Gespräche mit Swicker ins Gedächtnis zurückrufen würde?
André war stehen geblieben und wartete, bis Juliana herankam. Obwohl seine Wange noch von seinem gestrigen Zusammensto
ß mit Bruder Rupert geschwollen war und sich an einigen Stellen blau verfärbt hatte, lächelte er.
»Geht es dir nicht gut? Es tut mir so Leid!« Besorgt betrachtete André den verkrusteten Riss an Julianas Lippe.
Ihre Nase schien die gestrige Begegnung mit seiner Faust allerdings unbeschadet überstanden zu haben. Er hob die Hand, als wolle er die Wunde berühren, ließ sie dann aber wieder sinken.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte das Mädchen bestimmt.
Erleichterung huschte über Andrés Gesicht. Während ihre Schritte den gleichen Rhythmus fanden, begann er, ihr zu erzählen, was Pater Bertran ihm über Vianna – die Stadt durch die sie als Nächstes kommen würden – berichtet hatte. Dem Mädchen blieb nichts anderes übrig, als ihre Überlegungen auf später zu verschieben. Sie wollte in die Erinnerungen eintauchen und sich jeden Gesichtsausdruck, jede Schwingung unter den gesprochenen Worten zurückholen. Nun lauschte sie dem Geplauder des jungen Ritters, der nicht mehr von ihrer Seite weichen wollte.
Pater Bertran wandte sich immer wieder nach ihnen um und musterte sie mit düsteren Blicken. Hatte André ihn verärgert? Oder passte es ihm nicht, dass sein eifriger Zuhörer ihn verlassen hatte?
Sie hatten den mühsamen Anstieg zu einer kleinen Einsiedelei hinter sich gebracht, den man offensichtlich nicht ohne Grund Mataburros – Eselstöter – nannte. In der Ermita waren Pilger willkommen. Man gab ihnen Wasser, ein paar getrocknete Früchte und dunkles Brot. Sie dankten und machten sich sogleich an den Abstieg.
Unter ihnen lag Vianna, eine stark befestigte Stadt, in der die Bewohner von acht Weilern vereint worden waren, um einen weiteren Verteidigungsposten gegen Kastilien zu errichten, dessen Grenze nahe lag. Vor den Toren der Stadtmauer waren noch die Ruinen eines der alten Dörfer zu erkennen. Von den
Häusern standen nur noch Reste der Grundmauern, die nun als Ziegenpferche dienten. Sicher hatte man die Steine sorgfältig abgetragen, um sie beim Bau der neuen Häuser wiederzuverwenden. Die Bewohner der Stadt hatten nicht lange darauf warten müssen, bis der Schutz ihrer neuen Mauern auf die Probe gestellt worden war. Wie auch Los Archos hatte König Alfons X. die Stadt belagert, um sie Kastilien einzuverleiben – ohne Erfolg.
Dass diese Stadt planvoll gegründet worden war, merkten die Pilger schon bald nachdem sie durch die Porte d’Stella schritten: Die Straßen waren breiter als in den anderen Orten, verliefen gerade und trafen sich in rechten Winkeln. Soweit es das vorgegebene Gelände zuließ, hatten die Baumeister versucht, ein möglichst ebenmäßiges Rechteck zu gestalten, mit einer wehrhaften Burg in der Südostecke, der Kirche Santa María im Norden und San Pedro, dessen Hauptfassade an die Stadtmauer grenzte, im Westen.
Die fünf Wanderer blieben vor der Kirche Santa María stehen und betrachteten die halbfertige Fassade, die hinter Gerüsten verschwand.
»Unglaublich«, murrte Pater Bertran. »Haben die in den vergangenen Jahren überhaupt etwas getan? Ich glaube nicht, dabei fehlt es in dieser Stadt gewiss nicht an Geld! Vielleicht hat der Liber Sancti Jacobi doch mit dem Recht, was er über die Navarresen schreibt: ein faules, hinterlistiges Volk.« Anklagend wies er mit seinem dürren Finger auf die halbfertige Kirche. »Oder könnt ihr euch erklären, warum die seit zwanzig Jahren keinen Stein mehr an dieser Kirche bewegt haben?«
Sie zogen in einem Durcheinander aus Karren, Pilgern und Reitern durch das Tor San Felices aus der Stadt. Der Weg war breit und ausgefahren und sprach von dem regen Handel mit der nahen
Stadt Logronno 14 , die sie noch am Nachmittag durchqueren wollten. Immer wieder waren die Wanderer gezwungen, sich in einem Graben oder auf der Böschung zu einem Weinberg in Sicherheit zu bringen, wenn ein Fuhrwerk oder eine Gruppe Reiter die Straße für sich beanspruchten. Mit lauten Rufen und knallender Peitsche eilten sie vorbei.
Juliana und ihre Begleiter
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