Das Sigma-Protokoll
wusste nur der Privatdetektiv, wo er wohnte. Es war zu spät, um Hans Hoffmann noch anzurufen. Spät am Abend war er sicher nicht mehr im Büro.
Anna Navarro misstraute seiner Geschichte. Andererseits konnte sie nicht ernsthaft glauben, dass er Rossignol umgebracht hatte. Oder doch? Sie musste doch wissen, dass sie es nicht mit einem Serienmörder zu tun hatte. Schließlich war sie Profi. Sie musste wissen, wer in so ein Raster passte und wer nicht.
Wonach suchte sie also?
War es denkbar, dass sie für die CIA arbeitete? Oder für irgendeine Altherrentruppe, die mal dazugehört hatte und jetzt klar Schiff machen wollte? Und deren Verstrickung sie zu vertuschen half, indem sie den Verdacht auf ihn lenkte?
Eins blieb Fakt. Ein Mitbegründer dieser geheimnisvollen Organisation - ob die CIA die Hände dabei im Spiel hatte oder nicht - war gerade ermordet worden: Gaston Rossignol. Und auch Peter hatte man ermordet. Und zwar offenbar aus keinem anderen Grund als dem, eine Liste der Direktoren eben jener Organisation ausgegraben zu haben. Waren sie ein und demselben Mörder zum Opfer gefallen? Zumindest lag diese Vermutung nahe.
Waren die Mörder Amerikaner? Gehörten sie zur CIA?
Schwer vorstellbar. Sicher, Jimmy Cavanaugh war Amerikaner gewesen. Aber konnte er nicht für ausländische Auftraggeber gearbeitet haben?
Und was steckte hinter dem mysteriösen Verschwinden seines Vaters?
Warum war er untergetaucht? Godwin hatte zur Klärung dieser Frage auch nichts beigetragen. Warum hatte sein Vater Godwin angerufen, kurz bevor er verschwunden war?
War sein Vater auch schon tot?
Er musste in Bedford anrufen.
Ben ging über den langen Flur zu seinem Zimmer. Er drehte den Schlüssel um, machte die Tür auf und erstarrte.
Es war dunkel im Zimmer.
Er wusste genau, dass er das Licht angelassen hatte, als er gegangen war. Wer hatte es ausgemacht?
Reiß dich zusammen, Mann. Sicher hat das Zimmermädchen das Licht gelöscht. Die Österreicher sind doch so stolz auf ihr Umweltbewusstsein.
Fing er schon an zu spinnen? Wurde er langsam paranoid? Hatten die letzten paar Tage ihm derart zugesetzt?
Trotzdem...
Er rührte sich nicht vom Fleck, zog die Tür wieder vorsichtig zu, schloss ab und machte sich auf die Suche nach einem Hotelangestellten. Als er im dritten Stock niemanden fand, stieg er die Treppe hinunter in die zweite Etage. Dort sah er am Ende des Flurs gerade einen Hotelangestellten in Uniform aus einem Zimmer kommen.
»Entschuldigung«, sagte Ben, während er mit großen Schritten auf ihn zuging. »Ich bräuchte kurz Ihre Hilfe.«
Der junge Bursche drehte sich um. »Sir?«
»Mir ist was Dummes passiert«, sagte Ben. »Ich habe mich ausgesperrt. Könnten Sie mir wohl die Tür aufmachen?« Er steckte ihm einen Fünfzig-Schilling-Schein zu und sagte verlegen: »Ist mir jetzt schon das zweite Mal passiert. Wär mir ein bisschen peinlich, schon wieder den Portier zu bemühen. Ist nur ein Stock höher. Zimmer 316.«
»Kein Problem, Sir. Einen Augenblick.« Er suchte an dem großen Schlüsselring an seinem Gürtel nach dem passenden Schlüssel. »Alles klar. Da ist er.«
Sie gingen in den dritten Stock, und der Hotelangestellte öffnete die Tür zu Zimmer 316. Ben kam sich ein bisschen albern vor, wie er schräg hinter dem jungen Burschen stand und gespannt in das Zimmer spähte, ohne dass man ihn von innen sehen konnte.
Eine Silhouette, die Gestalt eines Mannes. Er zielte mit einer Pistole mit langem Lauf auf die Tür. Und jetzt erkannte Ben auch das Gesicht. Es war der Killer, der erst vor ein paar Stunden versucht hatte, ihn vor Jürgen Lenz’ Haus zu erschießen.
Der Killer aus dem Landgasthof in der Schweiz. Der Mörder seines Bruders.
Der Hotelangestellte schrie auf und stürzte davon.
Für einen Augenblick war der Killer verwirrt - er hatte Ben erwartet und nicht einen uniformierten Hotelangestellten. Die Sekunde reichte Ben, um ebenfalls abzuhauen. Hinter sich hörte er eine Serie dumpfer, ploppender Geräusche. Putz spritzte von den Wänden. Der schreiende Hotelangestellte rannte die Treppe hinunter. Ben entschied sich gegen die Treppe. Ein bewaffneter Killer, der ihm im offenen Treppenhaus auf den Fersen war, schien ihm nicht erstrebenswert. Er bog in einen vom Hauptflur abzweigenden Gang und lief zu einem Zimmer, vor dem der Wäschewagen eines Zimmermädchens stand. Ohne nachzudenken, stürzte er in das offene Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Keuchend presste er sich mit dem Rücken
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