Das Sigma-Protokoll
stand HUTCHINSON-GILFORD-SYNDROM.
Ein weiteres Foto zeigte das berühmte Motiv mit ausgemergelten Gefangenen in einem Konzentrationslager, die aus ihren Stockbetten neugierig in die Kamera schauten. DER HOLOCAUST.
Eine ungewöhnliche Kombination von Anliegen. Worin bestand der verbindende Gedanke?
Anna spürte, dass jemand die Lobby betreten hatte. Sie drehte sich um und sah eine stattliche, gesetzte Frau. An einer Kette um ihren Hals hing eine Lesebrille. »Miss Navarro«, sagte sie, »Sie haben Glück. Dr. Lenz hat ein paar Minuten Zeit für Sie.«
Im Wachraum, der sich in der Etage über der Lobby befand, beugte sich ein Techniker über einen Kontrollbildschirm. Mit einem Joystick schwenkte und zoomte er eine der an den Wänden in der Lobby montierten Überwachungskameras. Das hellbraune Gesicht der Besucherin füllte jetzt den ganzen Plasmabildschirm aus. Der Techniker drückte auf einen Knopf, und das Bild erstarrte. Mittels eines biometrischen Gesichtserkennungssystems konnte man das Foto mit allen Fotos vergleichen, die in der hauseigenen Datenbank gespeichert waren. Der Techniker hatte das unbestimmte Gefühl, dass der Computer schon bald einen Treffer ausspucken würde.
Er hatte Recht. Ein leises elektronisches Piepsen signalisierte ihm, dass das Gesicht mit einem in der Datenbank gespeicherten übereinstimmte. Während die dazugehörenden Informationen
über den Schirm huschten, hob der Techniker den Hörer ab und rief Lenz’ Büro an.
Jürgen Lenz war genauso, wie Ben ihn beschrieben hatte: zaundürr, weißhaarig, elegant, charmant. Er trug einen perfekt geschnittenen grauen Flanellanzug, ein akkurat gebügeltes weiϐes Hemd und eine Foulard-Krawatte. Er saß ihr gegenüber auf einem Chippendale-Stuhl. Die Händen lagen gefaltet in seinem Schoß.
»Sie haben es also geschafft«, sagte er.
»Ich verstehe nicht ganz.«
»Sie haben meine Neugier geweckt. Eine Frau, die für die amerikanische Regierung arbeitet und mich in einer persönlichen Angelegenheit sprechen will - wie konnte ich da widerstehen?«
Sie fragte sich, wie viel er über sie wusste. Ihr war schon jetzt klar, dass er so glatt und hart wie polierter Stein war.
»Vielen Dank, dass Sie mich empfangen«, sagte Anna. Eine Höflichkeitsfloskel für eine Höflichkeitsfloskel. »Man hat mich auf eine Reise um die Welt geschickt, um eine Mordserie zu untersuchen.«
»Eine Mordserie?«, sagte er. »Wie in Gottes Namen kann ich Ihnen bei der Aufklärung einer Mordserie behilflich sein?«
Sie hatte nur eine Chance - sie musste ihn kalt erwischen. Das war ihr klar. Die geringste Blöße, das geringste Zögern, die geringste Unsicherheit, und das Spiel wäre vorbei. Sie würde sich ausschließlich auf ein Thema konzentrieren: die Sigma-Morde.
»Die Mordopfer waren alle Mitglieder einer Organisation namens Sigma, zu deren Gründervätern Gerhard Lenz gehörte. Wir haben eruiert, dass eine direkte Verbindung besteht zwischen den Morden und einer Tochterfirma des Chemie-Giganten Armakon, in dessen Aufsichtsrat Sie sitzen.«
Lenz lehnte sich entspannt zurück und ließ ein zuckersüßes Lachen hören. »In all den Jahren meines Kreuzzugs gegen die von meinem Vater verübten Schandtaten, Miss Navarro, hat man mich schrecklicher Dinge bezichtigt - Verrat an meiner Familie, Verrat an meinem Vaterland, Opportunismus, Unaufrichtigkeit. Mord war allerdings nie darunter.«
Er reagierte, wie Anna erwartet hatte: gelassen, zuvorkommend,
ausweichend. Also hatte sie sich vorher überlegt, wie mit bestimmten Antworten umzugehen wäre. »Dr. Lenz«, sagte sie. »Sie werden ja wohl kaum abstreiten, dass Sie Aufsichtsratsmitglied von Armakon sind.«
»Eine rein ehrenamtliche Tätigkeit.«
Nach kurzem Zögern fuhr Anna fort: »Ich möchte Ihre Zeit nicht unnötig strapazieren. Wie Sie wissen, befindet sich ein Start-up-Unternehmen in Philadelphia, die Biotech-Firma Vortex, im Besitz der Armakon.«
Sie beobachtete ihn genau. Nichts. Er war auf der Hut. »Ich nehme an, dass sich viele nicht sonderlich aufregende Biotech-Start-ups im Besitz der Armakon befinden. Und?«
»Vortex ist Erfinder und Produzent einer synthetischen Substanz, die in der Grundlagenforschung eingesetzt wird. Um Moleküle zu markieren. Gleichzeitig ist diese Substanz ein tödliches Gift, das unmittelbar nach der Injektion zum Tod durch Herzversagen führt und im Blut nicht nachweisbar ist.«
»Wirklich hochinteressant«, erwiderte er mit ausdrucksloser Stimme.
»Bei mehreren der
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