Das Sigma-Protokoll
könnten, die seine Großzügigkeit etwas konkretisieren würden. Auf welche Art unterstützt er Ihre Stiftung?«
Was folgte, war ein langer, aber gleichwohl extrem unpräziser Redeschwall. Als sie endlich fertig war, hängte Ben frustriert auf.
Er hatte keine Ahnung, was genau er suchte. Tatsächlich stocherte er aufs Geratewohl herum und hoffte, die Fassade des Philanthropen Jürgen Lenz irgendwie ankratzen können. Ben konnte keinerlei Logik darin erkennen, für welchen Zweck die Stiftung Geld bereitstellte und für welchen nicht. Krebs - Kosovo - Hutchinson-Gilford-Syndrom - Deutsch-jüdischer Dialog. Das waren die Kernfelder. Auch nachdem Ben drei verschiedene Institutionen angerufen hatte, war ihm völlig unklar, was die vier Komplexe miteinander verband.
Ein Anruf noch, dann würde er diesen Weg nicht weiterverfolgen. Er stand auf, holte sich eine Pepsi aus der Minibar, setzte sich wieder an den kleinen Schreibtisch und wählte die Nummer einer Gesellschaft, die die Progeria - die vorzeitige Vergreisung - erforschte.
»Progeria-Institut.«
»Ich würde gern mit dem Zuständigen für das Spendenwesen sprechen.«
Ein paar Sekunden vergingen.
»Meitner.«
»Guten Tag, Frau Meitner. Mein Name ist Ron Adams...« Inzwischen hatte er schon etwas Routine. Er stellte sich vor und spulte ohne sonderliches Engagement seine Standardfragen ab. Die Frau war - wie alle Gesprächspartnerinnen zuvor - eine glühende Anhängerin von Lenz und seinen Wohltaten.
»Mr. Lenz ist unser wichtigster Förderer«, sagte sie. »Ohne seine Spenden könnten wir nicht überleben. Progeria ist eine tragische und außerordentlich seltene Krankheit, die sonst kaum Beachtung findet.«
»Wenn ich ehrlich bin, weiß ich rein gar nichts darüber«, sagte Ben höflich. Er wusste, dass er Zeit verschwendete, die er nicht hatte.
»Progeria bezeichnet das Phänomen der vorzeitigen Vergreisung, das bei Kindern Progeria infantilis bzw. Hutchinson-Gilford-Syndrom genannt wird. Die Krankheit bewirkt, dass ein Kind sieben- bis achtmal so schnell altert wie normal. Ein zehnjähriges Mädchen sieht aus wie eine achtzigjährige Frau. Es hat Arthritis, Herzprobleme und andere Altersbeschwerden. Die meisten werden nicht älter als dreizehn Jahre und nur selten größer als ein durchschnittlich großes fünfjähriges Kind.«
»Furchtbar«, sagte Ben, der aufrichtig schockiert war.
»Die Krankheit ist so selten, dass es erstens kaum staatliche Forschungsgelder gibt und dass zweitens die Pharmaindustrie kein kommerzielles Interesse daran hat, in dieser Richtung tätig zu werden. Deshalb sind wir so dringend auf Stiftungsgelder angewiesen.«
Biotech-Unternehmen... Vortex.
»Was ist Ihrer Meinung nach der Grund für dieses besondere persönliche Interesse von Mr. Lenz?«
Sie zögerte. »Vielleicht wäre es besser, wenn Sie Mr. Lenz selbst diese Frage stellten.«
Ihre Stimme hatte sich fast unmerklich verändert. Sie klang jetzt etwas kühler. »Wenn Sie mir irgendetwas vertraulich mitteilen wollen...«
Wieder eine kurze Pause. »Wissen Sie, wer Jürgen Lenz’ Vater war?«, fragte die Frau zögernd.
Weiß das überhaupt jemand? »Gerhard Lenz, der KZ-Arzt«, sagte Ben.
»Richtig. Im Vertrauen, Mr. Adams: Es heißt, dass Gerhard Lenz abscheuliche Experimente mit Kindern durchgeführt hat, die an Progeria litten. Ohne Zweifel versucht Jürgen Lenz durch seine Zuwendungen an uns etwas gutzumachen. Aber schreiben Sie das bitte nicht.«
»Natürlich nicht«, sagte Ben. Wenn aber Jürgen Lenz nicht der Sohn von Gerhard Lenz war, woher dann das Interesse für die gleiche Sache? Was steckte hinter diesem bizarren Theater?
»Dr. Lenz nimmt sogar hin und wieder einige dieser armen Geschöpfe in ein Privatsanatorium auf, das von seiner Stiftung in den österreichischen Alpen betrieben wird.«
»Ein Sanatorium?«
»Ja, ich glaube, man nennt es >Uhrwerk<.«
Ben lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Das Uhrwerk: Das Schloss, in das Strasser die Elektronenmikroskope für Gerhard Lenz geschickt hatte. Wenn Jürgen doch Gerhards Sohn war, dann hatte er das alles geerbt. Aber war es wirklich ein Sanatorium?
Ben versuchte so locker wie möglich zu klingen. »Und wo liegt dieses Sanatorium?«
»In den Alpen. Wo genau, weiß ich nicht. Ich bin nie da gewesen. Ich weiß nur, dass es sehr exklusiv, sehr abgeschieden und sehr luxuriös sein soll. Ein idealer Ort, um sich von der Hektik der Großstadt zu erholen.«
»Mit so einem Kind würde ich mich
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