Das Sigma-Protokoll
bekannt.«
»Uhrwerk?«, sagte sie.
»Eine Privatklinik. Ich glaube, da werden auch wissenschaftliche Forschungen betrieben. Und ein Sanatorium für Kinder soll auch dazugehören.«
Ben glaubte ein kurzes Flackern in den Augen der Frau gesehen zu haben. Wahrscheinlich hatte er sich getäuscht, denn sie schüttelte den Kopf. »Tut mir Leid, aber davon habe ich noch nie gehört.«
»Man hat mir erzählt, dass die Klinik einem gewissen Dr. Jürgen Lenz...«
»Tut mir wirklich Leid«, sagte die Frau etwas zu schnell. Ihre Laune hatte sich plötzlich deutlich verschlechtert. »Eine derartige Klinik gibt es hier nicht.«
Er ging weiter die Hochstraße entlang und kam zu einem Wirtshaus, vor dem eine Tafel mit dem grünen Werbelogo für Wieninger Bier und dem verschnörkelten Schriftzug >Herzlich willkommen< stand. Darunter lockte in fetten Kreidebuchstaben das Tagesgericht.
Im Gastraum war es dunkel. Es roch nach Bier. Obwohl es noch nicht mal Mittag war, saßen drei korpulente Männer an einem kleinen Holztisch vor vollen Bierkrügen. Ben ging auf sie zu.
»Ich suche ein altes Schloss, auch Uhrwerk genannt, in dem sich eine Klinik befindet, die einem Jürgen Lenz gehört.«
Die Männer musterten ihn misstrauisch. Dann tuschelten sie leise miteinander. Ben verstand die Worte >Lenz< und >Klinik<. »Nein, gibt’s hier nicht.«
Wieder spürte Ben eine unmissverständliche Feindseligkeit. Er war davon überzeugt, dass die Männer ihm etwas verheimlichten, zog ein paar Tausend-Schilling-Scheine aus der Tasche und spielte damit herum. Er hatte jetzt keine Zeit für Feinheiten.
»Also dann, vielen Dank«, sagte er und wandte sich zur Tür. Doch dann, als hätte er etwas vergessen, drehte er sich wieder um. »Ach ja, wenn zufällig einer von Ihnen einen Freund hat, der mir was über die Klinik erzählen kann, dann sagen Sie ihm, dass ich für gute Informationen gut zahle. Ich bin Amerikaner, Unternehmer. Möchte hier in der Gegend etwas Geld investieren.«
Er ging nach draußen und blieb vor der Tür kurz stehen. Eine Clique junger Burschen schlenderte vorbei. Sie trugen Jeans und Lederjacken, hatten die Hände in den Taschen und sprachen russisch miteinander. Zwecklos, die zu fragen.
Ein paar Sekunden später tippte ihm jemand auf die Schulter. Es war einer der Männer aus dem Wirtshaus. »Wie viel zahlen Sie für die Information?«
»Eine korrekte Information ist mir zweitausend Schilling wert.«
Der Mann schaute sich verstohlen um. »Erst das Geld.«
Ben musterte ihn und gab ihm dann zwei Scheine. Der Mann zog ihn ein paar Meter zur Seite und zeigte den Berg hinauf. Unterhalb des schneebedeckten Gipfels schmiegte sich ein mittelalterliches Schloss mit verschnörkelter Fassade und einem Glockenturm mit vergoldeter Spitze an die Bergflanke. Das Schloss ragte aus dicht an dicht stehenden, mit gefrorenem Schnee überkrusteten Tannen hervor.
Semmering.
Der Ort, den Josef Strasser vor Jahrzehnten mit wissenschaftlichem Hightech-Gerät versorgt hatte.
Wohin Jürgen Lenz regelmäßig einige wenige glückliche Kinder einlud, die unter einer furchtbaren Krankheit litten.
Wo im Moment - wenn Ben die Aussagen von Lenz’ Sekretärin richtig deutete - wichtige Staatsmänner und Würdenträger aus aller Welt konferierten.
Wo sich möglicherweise auch Anna aufhielt.
Das Schloss war die ganze Zeit da gewesen. Es war ihm nicht aufgefallen, weil er es die ganze Zeit gesehen hatte. Es war das mit Abstand größte sichtbare Gebäude weit und breit.
»Fantastisch«, sagte Ben leise. »Kennen Sie jemanden, der schon mal da drin war?«
»Nein. Da kommt keiner rein. Die Sicherheitsvorkehrungen
sind gigantisch. Es ist total abgeschirmt. Da kommen Sie nie rein.«
»Die brauchen doch sicher manchmal Arbeiter aus dem Dorf?«
»Solche Leute werden immer extra mit dem Hubschrauber aus Wien eingeflogen. Es gibt einen kleinen Landeplatz. Da rechts, sehen Sie ihn? Die wohnen dann auch da oben.«
»Was genau passiert in dem Schloss?«
»Genaues weiß man nicht. Es gibt Gerüchte.«
»Zum Beispiel?«
»Die Leute sagen, dass da komische Dinge vor sich gehen. Manchmal sieht man Busse ankommen, aus denen Kinder aussteigen. Merkwürdige Kinder.«
»Wem gehört das Schloss?«
»Wie Sie schon richtig gesagt haben - diesem Lenz. Sein Vater war ein hohes Tier bei den Nazis.«
»Wie lange ist er schon der Besitzer?«
»Schon ewig. Na ja, ich glaube, dass es dem Vater seit Kriegsende gehörte. Davor war es so eine Art Parteizentrale für
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