Das Sigma-Protokoll
der Verschwörung... Er hat gesagt, dass seine Arbeit die Welt verändern würde.
Schließlich fiel er in einen unruhigen Schlaf.
Er und Peter lagen nebeneinander auf einem Operationstisch. Festgeschnallt. Ein Mann in OP-Kittel und Mundschutz beugte sich über sie. Dr. Gerhard Lenz. Seine wässerigen Augen waren unverwechselbar. »Wir fügen die zwei Körper zu einem zusammen«, sagte er zu einem Assistenten mit markantem Gesicht. »Wir verbinden ihre Organe, sodass keiner ohne den anderen lebensfähig ist. Zusammen werden sie leben, zusammen werden sie sterben.« Eine Hand in einem OP-Handschuh schwang das Skalpell wie einen Geigenbogen, durchtrennte mit kühnen, selbstsicheren Schnitten das Fleisch. Die Schmerzen waren unbeschreiblich.
Ben zerrte an den Fesseln. Das Gesicht vor Entsetzen verzerrt, starrte er den neben ihm liegenden Bruder an.
»Peter!«, schrie er.
Der Mund seines Bruders war weit aufgerissen. In dem grellen Deckenlicht erkannte Ben, dass man Peter die Zunge herausgeschnitten hatte. Eine schwarze Maske wurde auf Bens Gesicht gepresst. Er roch den schweren Duft von Äther. Aber er wurde nicht bewusstlos. Im Gegenteil: Seine Sinne wurden schärfer, er nahm das Grauen, das ihm angetan wurde, noch bewusster wahr.
Um drei Uhr morgens wachte er auf.
Anna war immer noch nicht gekommen.
Bis zum Morgen fand er keinen Schlaf mehr.
Er hasste es, dass er niemanden anrufen konnte, dass er nichts tun konnte, um sie zu finden.
Vergeblich versuchte er, sich mit Lesen abzulenken. Es half nichts, er konnte nur an Anna denken.
Er liebte sie so sehr.
Völlig erledigt und verzweifelt, rief er um sieben zum fünften Mal in der Rezeption an und fragte nach, ob Anna sich gemeldet hätte.
Nichts.
Er duschte, rasierte sich und bestellte sich das Frühstück aufs Zimmer.
Er wusste, dass Anna etwas zugestoßen war. Jetzt war er sich hundertprozentig sicher. Es war absolut unmöglich, dass sie freiwillig irgendwohin gefahren war, ohne ihm vorher Bescheid zu sagen.
Ihr war etwas zugestoßen.
Er trank ein paar Tassen schwarzen Kaffee und zwang sich dazu, ein Brötchen zu essen.
Höllische Angst durchflutete ihn.
Er fuhr zu einem Internet-Café, dessen Adresse er im Wiener Telefonbuch gefunden hatte. Das Internet-Kaffeehaus in der Währinger Straße entpuppte sich als ein mit Leuchtstoffröhren grell ausgeleuchteter Raum mit ein paar iMacs auf kleinen runden Resopaltischen und einem Kaffeeautomaten. Der Boden war
klebrig, und es roch nach Bier. Eine halbe Stunde online kostete fünfzig Schilling.
In verschiedene Suchmaschinen tippte er das Wort ›Semmering< ein. Semmering war ein Dorf, das etwa neunzig Kilometer von Wien entfernt lag. Das Ergebnis war jedes Mal das gleiche: Homepages von Hotels, Pensionen und allen möglichen Geschäften und Dienstleistern, wie sie ein Skigebiet in den Alpen eben zu bieten hat.
Obwohl ihm klar war, dass er möglicherweise einen furchtbaren Fehler beging, suchte er eine öffentliche Telefonzelle und rief bei der Lenz-Stiftung an. Ben war verzweifelt. Er wusste nicht, wo sie sonst sein könnte.
Er ließ sich zu Lenz’ Büro durchstellen und fragte seine Sekretärin, ob eine gewisse Anna Navarro im Haus gewesen sei.
Die Sekretärin war anscheinend im Bilde. Allerdings beantwortete sie nicht seine Frage, sondern erkundigte sich sofort nach seinem Namen.
Ben behauptete, er sei Attaché am amerikanischen Konsulat in Wien.
»Dürfte ich um Ihren Namen bitten?«, fragte die Sekretärin noch einmal.
Er nannte einen falschen Namen.
»Könnten Sie mir Ihre Nummer geben? Dann wird Sie Dr. Lenz in Kürze zurückrufen.«
»Im Büro bin ich heute nicht zu erreichen«, sagte Ben. »Ich bin den ganzen Tag unterwegs. Es wäre nett, wenn ich Dr. Lenz gleich sprechen könnte.«
»Tut mir Leid, Dr. Lenz ist im Moment beschäftigt.«
»Wann, glauben Sie, könnte er ein paar Minuten erübrigen? Es ist wirklich sehr dringend.«
»Dr. Lenz ist nicht im Hause«, sagte sie frostig.
»Nun ja, dann probiere ich es in seiner Privatwohnung.«
Nach kurzem Zögern: »Ich muss Sie enttäuschen, aber Dr. Lenz hält sich nicht in Wien auf.«
Nicht in Wien. »Schade, der Botschafter persönlich hat mich gebeten, diese dringende Angelegenheit mit Dr. Lenz zu besprechen«, sagte Ben in seinem verbindlichsten Tonfall.
»Dr. Lenz zeigt einer Gruppe ausgewählter Teilnehmer des
International Children’s Health Forum einige unserer Einrichtungen. Das ist allgemein bekannt. Falls der Botschafter
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