Das Sigma-Protokoll
Einfühlungsvermögen. Hin und wieder engagierte sie ihn als Berater.
Sie erwischte ihn zu Hause, als er gerade zur Arbeit gehen wollte.
»Von wo rufst du an?«, fragte er.
»Tja... aus dem Norden.«
Er musste kichern über ihre Geheimniskrämerei. »Also gut. Was kannst du mir über dein Opfer sagen?«
»Ist alt. Wie tötet man jemanden, ohne Spuren zu hinterlassen?«
Wieder ein Kichern. »Man gibt ihm den Laufpass, Anna. Wirkt todsicher.« Das war seine Art zu flirten.
»Könnte es mit einer kräftigen Dosis Kaliumchlorid funktionieren?«, fragte sie und ignorierte höflich seinen Scherz. »Führt zum Herzstillstand, oder? Verändert kaum den Kaliumspiegel des Körpers. Und wäre damit auch nicht nachzuweisen. Kann das hinkommen?«
»Hat er am Tropf gehangen?«, fragte Hammond.
»Glaube nicht. Wir haben jedenfalls keine Einstichstellen gefunden.«
»Dann nicht. Wäre viel zu kompliziert. Wenn er nicht am Tropf war, hätte man ihm das Zeug direkt in die Vene spritzen müssen. Dann hättet ihr Zeichen eines Kampfes gefunden und jede Menge Blutspritzer.«
Sie notierte das in ihr winziges Ledernotizbuch.
»Er ist plötzlich gestorben, richtig? Dann können wir eine Schwermetallvergiftung ausschließen. Entsprechende Stoffe muss man über einen längeren Zeitraum verabreichen - sie wirken sehr langsam. Was dagegen, wenn ich mir eben eine Tasse Kaffee hole?«
»Nein. Natürlich nicht.« Sie musste lächeln. Jetzt war er in seinem Element.
Keine Minute später war er wieder am Telefon. »Apropos Kaffee«, sagte er. »Er muss es getrunken oder gegessen haben. Oder es war doch eine Injektion.«
»Glaub mir, wir haben jeden Zentimeter seines Körpers abgesucht. Keine Einstichstellen.«
»Es gibt so dünne Nadeln, dass man die Einstichstelle leicht übersieht. Sux wäre natürlich auch eine Möglichkeit. Suxamethoniumchlorid. Synthetisches Kurare. Da gab’s dieses berühmte Todesurteil in Florida. ’67 oder ’68. Ein Arzt hatte mit Sux seine Frau umgebracht. Wie du sicher weißt, ist Sux ein depolarisierendes Muskelrelaxans. Du kannst dich nicht mehr bewegen, kannst nicht mehr atmen. Sieht aus wie Herzstillstand. Berühmtes Urteil, hat die Gerichtsmediziner überall auf der Welt vom Hocker gehauen.«
Sie machte sich eine Notiz.
»Muskelrelaxans-Präparate gibt’s jede Menge. Und jedes wirkt anders. Gerade bei alten Menschen stehen tausend Sachen zur Verfügung, die für den letzten Schubser gut sind. Ein bisschen Nitroglyzerin reicht da schon.«
»Unter die Zunge, oder?«
»Normalerweise, ja... Dann haben wir da noch Amylnitrit, gibt’s in Ampullen. Kann tödlich sein, wenn du das inhalierst. Wird auch als Rauschmittel verwendet. Nennt man Poppers. Die gleiche Wirkung hat Butylnitrit. Die Gefäße erweitern sich, der Blutdruck sinkt rapide, man kippt um und Ende.«
Anna schrieb eifrig mit.
»Spanische Fliege, damit geht’s auch«, fuhr er kichernd fort. »Etwas zu viel davon, und du stirbst. Heißt Kantharidin, der Wirkstoff.«
»Der Kerl war achtundsiebzig.«
»Ein Grund mehr für ein Aphrodisiakum.«
»Themawechsel!«, sagte sie rasch.
»Hat er geraucht?«
»Weiß ich noch nicht. Wenn ich ein Bild von der Lunge habe, kann ich dir mehr sagen. Warum fragst du?«
»Ich hatte gerade einen interessanten Fall aus Südafrika. Da hat man ein paar alte Leute mit Nikotin ermordet.«
»Nikotin?«
»Man braucht gar nicht viel davon.«
»Und wie kommt es in den Körper?«
»Als Flüssigkeit. Schmeckt etwas bitter, lässt sich aber kaschieren. Kann auch injiziert werden. Nach ein paar Minuten bist du tot.«
»Und bei einem Raucher kann man das nicht feststellen. Meinst du das?«
»Man muss eben schlau sein. Ich weiß jetzt, wie es geht. Der Knackpunkt ist: Wie ist das Verhältnis von Nikotin zu den Metaboliten im Blut? Nach einer gewissen Zeit wird Nikotin in Metabolite umgewandelt.«
»Ich weiß.«
»Bei einem Raucher findet man weit mehr Metaboliten als reines Nikotin. Im Falle einer akuten Vergiftung findet man jedoch wesentlich mehr Nikotin und wesentlich weniger Metaboliten.«
»Was kann bei der toxikologischen Untersuchung herauskommen?«
»Die normale Untersuchungspalette ist darauf ausgelegt, die üblichen Rauschgifte festzustellen. Opiate, synthetische Opiate, Morphium, Kokain, LSD, Propoxyphen, PCP, Amphetamin, Benzodiazepine - wie zum Beispiel Valium - und Barbiturate. Manchmal auch Antidepressiva. Sag ihnen, sie sollen das normale Programm durchziehen, plus der Stoffe, die ich dir
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