Das Sigma-Protokoll
schließlich bewusstlos wurde. Woran er sich als Nächstes erinnerte, war, dass sie sich in einem großen Raum befanden, wieder inmitten einer Menge Gefangener. Wandelnde Skelette mit geschorenen Köpfen. Peter sah erleichtert aus. Endlich könnte er sich duschen. Was machte es schon, dass es eine Gemeinschaftsdusche war? Ben wurde von Panik gepackt. Er wusste Bescheid. Irgendwie wusste er Bescheid. Er versuchte zu schreien: »Peter! Das ist keine Dusche, das ist eine Gaskammer. Wir müssen raus, wir sind in einer Gaskammer! Doch die Worte blieben ihm im Mund stecken. Die anderen umringten ihn und starrten ihn an wie Zombies. Auch Peter schaute ihn verständnislos an. Ein Baby weinte. Mädchen schluchzten. Er versuchte wieder zu schreien. Wieder nichts. Er wurde fast wahnsinnig. Er hatte das Gefühl, als erstickte er, als würde ihm jemand die Luft abdrücken. Vor ihm stand sein Bruder. Er reckte in Erwartung des warmen Wassers den Kopf der Decke entgegen. In der nächsten Sekunde hörte Ben, wie Türen verriegelt und rostig quietschend Ventile aufgedreht wurden, wie Gas zischte. Er schrie »NEIN!«, riss die Augen auf und sah direkt vor sich Peters Schreibtischstuhl.
Keuchend setzte Ben sich auf und lauschte. Er hatte das rostige Quietschen nur geträumt. Er befand sich mitten im Wald in der Hütte seines Bruders und hatte geschlafen.
Das Geräusch - hatte er das wirklich gehört oder auch nur geträumt?
Dann vernahm er das leise, dumpfe Schlagen einer Autotür.
Es gab keinen Zweifel. Nichts anderes hörte sich so an. Und es war ein großer Wagen. Vielleicht ein Pick-up. Oder ein Range Rover.
Er sprang aus dem Bett. Während er sich hastig Jeans, Turnschuhe und Lederjacke überstreifte, dachte er, ob vielleicht Liesl aus irgendeinem Grund zum Range Rover gegangen war. Er schnappte sich die Taschenlampe, ging leise zu Liesls Schlafzimmer und machte die Tür einen Spalt auf.
Sie lag im Bett. Mit geschlossenen Augen. Schlafend.
Verdammt. Da draußen war jemand. Ein Fremder!
Er schlich ins Wohnzimmer, nahm den Revolver vom Tisch und öffnete dann langsam die Vordertür. Suchend ließ er den Blick über die Lichtung schweifen, die im blassen Dämmerlicht des Mondscheins vor ihm lag. Die Taschenlampe knipste er nicht an. Der Lichtkegel würde den Fremden nicht nur warnen, sondern auch seinen Standort verraten.
Dann hörte er, wie ein Motor angelassen wurde. Jemand gab Gas. Ben lief auf die Lichtung und sah, dass der Range Rover immer noch hinter dem Gebüsch stand, wo er ihn abgestellt hatte. Und er sah die roten Rücklichter eines Pick-ups.
»Hey!«, brüllte er und rannte gebückt durch das Dickicht.
Der Pick-up schleuderte durch den engen Tunnel aus Blättern und Zweigen den schmalen Weg entlang. Ben rannte hinterher. In einer Hand hielt er den Revolver, in der anderen - wie früher am College beim Staffellauf - die Mag-Lite-Taschenlampe. Die Rücklichter entfernten sich, obwohl er alles aus sich herausholte. Er achtete nicht auf die Zweige, die ihm ins Gesicht schlugen. Jetzt funktionierte er wie eine Maschine, wie eine Laufmaschine. Er war wieder das Sprint-Ass von früher. Der Wagen würde ihm nicht entkommen. Er durfte nicht entkommen. Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Hatte der Fremde einbrechen wollen? Hatte er aus dem Innern der Hütte ein Geräusch gehört und war daraufhin geflohen? Obwohl er das Letzte aus seinem Körper herausholte, wurden die Rücklichter immer kleiner und verschwanden schließlich. Es hatte keinen Sinn. Der Wagen war weg. Er drehte um und machte sich auf den Rückweg. Plötzlich fiel ihm der Range Rover ein. Der Pick-up hatte nur zwei Richtungen zur Auswahl. Ben hatte also eine fifty-fifty Chance, wenn er mit dem Range Rover die Verfolgung aufnahm. Er rannte wieder los. Im nächsten Augenblick zerriss eine ohrenbetäubende Explosion die Stille. Eine riesige orangerote Lichtsäule schoss direkt vor ihm in den Nachthimmel - genau dort, wo einmal die Hütte gestanden hatte.
17. KAPITEL
Washington, D . C.
Genau in dem Augenblick, als sich der Reißverschluss von Annas Kleidersack an einem Kostüm verklemmte, hupte unten das Taxi.
»Ja, ja«, brummte sie ärgerlich. »Ich komm ja gleich.«
Sie zerrte an dem Reißverschluss, doch das Kostüm hing fest. Dann klingelte das Telefon. »Herrgott noch mal!«
Sie war ohnehin schon zu spät dran für den Nachtflug vom Reagan National Airport nach Zürich. Schließlich ging sie doch ans Telefon, bevor sich der Anrufbeantworter
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