Das silberne Dreieck
bemerkt und ging in den Speisesaal. Der andere ging schwankend seines Wegs - merkwürdig, um wieviel schneller doch der Kopf nüchtern wird als die Beine -, eilig, als ob ihm der Teufel auf den Hacken säße. Dann ging ich auch hinein und fand Ambrose hinter einer Tasse Tee. Ein Mensch, der vormittags um elf Uhr Tee trinkt, kommt aus Südafrika oder Australien. In diesem Fall war es Südafrika. Diamantengräber, Exsoldat, sehr gebildet, aber sehr reserviert. Als er weitergefahren war, machte ich mich auf die Suche nach dem ›Exfeldarbeiter‹ und sah ihn, als er eben in eine auffallend geschmacklose, und ebenso kostbare Villa hineinging.«
»Wohin du ihm folgtest, ohne dich durch die Heiligkeit des englischen Heims im geringsten stören zu lassen?«
Leon nickte.
»Du sprichst die lautere Wahrheit. Stell dir eine Vorstadtvilla vor, mein lieber George, die mit sinnlosen Möbelstücken so vollgepfropft ist, daß du kaum einen Platz zum Sitzen finden kannst. Ruhebänke mit Atlas überzogen, imitierte chinesische Schränke und Schränkchen, nutzlose Tischchen, runde und eckige. Lächerliche Ölgemälde in schwer vergoldeten Rahmen, töricht lächelnde Vergrößerungen von Fotografien auf einer Tapete - ich schaudere, wenn ich daran denke! Und dann - zwei Damen, kostbar gekleidet und mit Schmucksachen behängt, aber mit mehr grammatikalischen Fehlern in der Redeweise als mit Brillanten an den Fingern - häßlich, ordinär und abstoßend!
Als ich hinter meinem ahnungslosen ›Freund‹ in die Halle kam, hörte ich ihn sagen: ›Er ist gar nicht tot - er ist zurück!‹ und eine Frauenstimme antwortete: ›Ach, du lieber Gott!‹ und noch eine andere Stimme: ›Er muß tot sein - stand ja in der Liste vom ersten Januar!‹ und dann hatte ich so viel zu tun, meine Anwesenheit zu erklären, daß weitere Nachforschungen unmöglich waren.«
George Manfred hatte seine Akten sorgfältig mit einer roten Schnur zusammengebunden und lehnte sich in den Stuhl zurück.
»Du hast natürlich die Nummer von Ambroses Auto?«
Leon nickte.
»Und er trug einen Brillantring?«
»Einen Damenring - am kleinen Finger. Kein besonders kostbarer Gegenstand. Ein Mädchenring.«
Poiccart lächelte.
»Jetzt wollen wir uns hinsetzen und auf den - dritten Ring warten. Das ist ja unvermeidlich.«
Wenige Minuten später war Leon schon auf dem Weg nach der Fleet Street. Seine Neugier war unersättlich, und zwei Stunden lang saß er im Büro eines bekannten Zeitungsverlegers, las die Verlustlisten von den vier ersten Januartagen durch und suchte nach einem Soldaten, dessen Zuname »Ambrose« war.
»Die ›drei Gerechten««, sagte der hohe Polizeibeamte vergnügt, »sind jetzt so hervorragend ehrsame Leute, daß wir ihnen Polizeischutz angedeihen lassen müssen.«
Man muß in Betracht ziehen, daß diese Worte nach einem guten Dinner gesagt wurden, also zu einem Zeitpunkt, da selbst ein Polizeibeamter gemütlich wird, namentlich wenn er Gast in einem der vornehmen Häuser in Belgravia ist. Man muß gleichzeitig in Betracht ziehen, daß ein Mitglied des »silbernen Dreiecks« am gleichen Abend vor Oberst Yenfords Haus gesehen worden war.
»Verdrehte Kerle. Warum sie Ihr Haus beobachten, ist mir unklar - hätte ich das vorher gewußt, würde ich den Mann hereingebeten haben.«
Lady Irene Belvinne lehnte sich gelangweilt zurück; sie schien wenig Interesse für die ›drei Gerechten‹ zu haben, aber jedes Wort blieb in ihrem Gedächtnis haften.
Sie war eine elegante Erscheinung, Witwe eines früheren Ministers, der man ihre fünfunddreißig Jahre nicht ansah. Ihr Mann war mehrfacher Millionär gewesen und hatte ihr sein gesamtes Vermögen hinterlassen. Das klare, heitere Gesicht, die ruhige, selbstbewußte Haltung verrieten die Frau, die niemals Sorgen und Kummer kennenlernte ...
»Was machen die Leute eigentlich«, fragte sie mit ihrer leicht schleppenden Stimme. »Sind sie Detektive? Was sie früher waren, weiß ich natürlich.«
Und wer wußte nicht, was dieses erbarmungslose Trio in jenen Tagen war, als es selbst vom Gesetz verfolgt wurde. In jenen Tagen, wo ihrer Drohung ein schneller Tod folgte, wo jeder Verbrecher zitterte, wenn er ihren Namen hörte!
»Jetzt sind sie zahm genug«, sagte ein anderer. »Heute würden sie ihre Kunststückchen nicht mehr versuchen, stimmt das nicht, Yenford?«
Oberst Yenford schien aber nicht der gleichen Meinung zu sein.
»Merkwürdig«, sagte Irene vor sich hin, »daß ich nicht daran gedacht
Weitere Kostenlose Bücher