Das silberne Dreieck
Worte mit größter Sorgfalt wählte, hatte Jose erzählt, daß bestimmte Verbrechen der Göttin Justitia besonders abscheulich erschienen. Respekt vor der Frau wäre beispielsweise eines der ersten Gebote der Menschlichkeit; aus der Torheit und Unvorsichtigkeit der Frauen ein Geschäft zu machen, wäre als so abstoßend zu betrachten, daß zwei Dutzend Schläge mit der neunschwänzigen Katze kaum als genügende Strafe - neben der langjährigen Haft - zu betrachten seien.
Und Jose hatte schwer gesündigt. Er war Leiter der südamerikanischen Artisten-Agentur und verschaffte jungen und hübschen Neulingen auf der Bühne schnelle und gut bezahlte Engagements in Südamerika. Voller Freude reisten sie ab und kehrten nie wieder zurück. Von Zeit zu Zeit liefen Briefe an ihre Verwandten ein - sehr nette, fehlerlos geschriebene Briefe. Es ginge ihnen sehr gut, sie wären sehr glücklich. Fast alle diese Briefe waren in denselben Worten abgefaßt; man konnte beinahe annehmen, sie seien diktiert worden - und das war auch der Fall.
Aber das Dezernat »Verhütung des Mädchenhandels« war auf Joses Spur gekommen. Ein hübsches Mädchen hatte sich um ein Engagement bemüht und reiste nach Buenos Aires ... , in Begleitung ihres Vaters und Bruders - beide waren Beamte von Scotland Yard. Als sie drüben erfahren hatten, was sie wissen wollten, kamen sie alle drei wieder zurück - auch das junge Mädchen war eine geschickte Detektivin -, und Jose wurde verhaftet. Und nun kamen allerhand nette Einzelheiten über den Gentleman ans Tageslicht, deren unvermeidliche Folge achtzehn Monate Zuchthaus und fünfundzwanzig Schläge mit der neunschwänzigen Katze waren.
Niemand verhaftete Jules Levingrou und holte ihn aus seinem reizenden kleinen Haus in Knightsbridge heraus, um ihn an den gleichen Pfosten wie Jose zu binden. Und niemand verhaftete Henry Luss, seinen Teilhaber. Beide hatten Jose und vielen anderen Joses die nötigen Kapitalien zur Verfügung gestellt, aber - sie waren zu gerissen, um sich selbst bloßzustellen.
»Jose war viel zu unvorsichtig«, seufzte Jules und zog an der Zigarre.
Auch Henry seufzte. Er war ebenfalls fett und aufgeschwemmt, sah aber noch dicker aus als sein Teilhaber, weil er kleiner als jener war.
Jules blickte sich zufrieden in dem hübschen Salon mit den weißen und goldenen Verzierungen um, bis seine Augen auf einer Fotografie ruhen blieben, die auf dem Kaminsims stand. Es war das Bild eines auffallend hübschen Mädchens.
»Hast du das schon gesehen?«
Henry nahm das Foto herunter, betrachtete es bewundernd und brummte dann:
»Lange nicht gut genug!«
Mr. Levingrou stimmte ihm bei. Bis jetzt hatte er noch kein Bild gesehen, das der zarten Schönheit seiner einzigen Tochter volle Gerechtigkeit widerfahren ließ. Er war Witwer; seine Frau starb, als Valerie noch ein Baby war. Und niemals würde Valerie erfahren, mit wieviel zerbrochenen Herzen, mit wieviel verlorenen Seelen der Luxus bezahlt war, der sie umgab. Ein solcher Gedanke störte Mr. Levingrou niemals - er behauptete stolz, nicht sentimental veranlagt zu sein.
Er war Besitzer von einigen zwanzig Kabaretts und Tanzdielen in Argentinien und Brasilien und verdiente mit diesem, seiner Meinung nach, völlig einwandfreien Geschäft ungeheure Summen.
Mr. Levingrou stellte die Fotografie auf ihren Platz und ließ sich wieder in seinen Sessel fallen.
»Es ist bedauerlich, daß Jose so etwas passieren mußte; aber es gibt ja tausend andere für seine Stelle. Der neue Mann kann ja auch ganz gut sein.«
»Wie heißt er?« fragte Henry.
Jules suchte in seinen Taschen und fand den Brief; seine dicken Finger funkelten im Lichte des Kristallkronleuchters; Mr. Levingrou hatte eine Schwäche für kostbare Ringe.
»Leon Gonsalez!«
»Allmächtiger!«
Henry war aus seiner bequemen Stellung aufgefahren, sein Gesicht war kreideweiß.
»Nanu, nanu. Was ist denn los?«
»Leon Gonsalez!« wiederholte der andere heiser. »Denkst du denn, der Mann bemüht sich um einen Posten, weißt du denn nicht, wer das ist?«
Jules schüttelte seinen dicken Kopf.
»Woher, zum Teufel, sollte ich ihn denn kennen? Er ist Spanier, und das genügt mir. Das ist immer dieselbe Geschichte bei uns, Henry. Kaum war einer blöde genug und hat sich erwischen lassen, bietet sich schon ein anderer an. Morgen habe ich zwanzig, dreißig, fünfzig Anfragen - natürlich nicht direkt an mich, sondern auf dem gewöhnlichen Wege.«
Henry blickte ihn verstört an. Er konnte vor
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