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Das silberne Dreieck

Das silberne Dreieck

Titel: Das silberne Dreieck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wallace
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nicht viel Zeit und möchten nicht gern Ihren Zug nach außerhalb versäumen.«
    Sie blickte ihn erstaunt an.
    »Woher wissen Sie das?«
    Leon machte eine seiner prachtvollen Handbewegungen.
    »Woher ich das weiß ...? Weil Sie sonst gewartet hätten, bis es ganz dunkel wurde. Sie haben meiner Überzeugung nach Ihren Besuch bis zum allerletzten Augenblick hinausgeschoben.«
    Sie zog sich einen Stuhl an den Tisch und nahm langsam Platz - immer den Rücken nach dem Fenster zugekehrt.
    »Sie haben recht«, nickte sie. »Mein Zug geht bald, und ich muß meine Zeit genau berechnen. Sind Sie Mr. Manfred?«
    »Gonsalez«, verbesserte er.
    »Ich möchte Sie um Rat bitten.«
    Sie sprach nach wie vor in ruhigem Ton, ihre Hände lagen gefaltet vor ihr auf dem Rand des Tisches. Selbst in diesem Halbdunkel, noch dazu mit ihrem Gesicht im Schatten, konnte Gonsalez sehen, wie schön das junge Mädchen war. Nach ihrer vollen Stimme schätzte er ihr Alter auf ungefähr vierundzwanzig Jahre.
    »Ich bin Erpressern in die Hände gefallen. Höchstwahrscheinlich werden Sie mir raten, mich an die Polizei zu wenden, aber ich befürchte, sie könnte mir nicht helfen, selbst wenn ich mich einem Erscheinen vor Gericht aussetzen müßte - und das will ich auf keinen Fall. Mein Vater« - sie zögerte einen Augenblick - »ist Beamter. Es würde ihm das Herz brechen, wenn er dies erfahren müßte. Wie konnte ich nur eine solche Närrin sein!«
    »Briefe?« fragte Leon verständnisvoll.
    »Ja, Briefe und noch andere Dinge! Vor ungefähr sechs Jahren studierte ich Medizin und arbeitete im St.-Johns-Hospital. Abschlußexamen habe ich nicht gemacht; die Gründe werden Sie sofort erfahren. Meine chirurgischen Kenntnisse habe ich nicht viel verwerten können - mit einer Ausnahme. Ich rettete einem Mann das Leben, obgleich ich bezweifle, daß das die Mühe wert war. Der Mann hatte natürlich eine andere Meinung darüber, doch das gehört nicht hierher. In St. Johns lernte ich einen Mediziner kennen, dessen Name Sie nicht weiter interessieren kann, und es ging mir wie so vielen anderen jungen Mädchen in dem Alter: Ich verliebte mich Hals über Kopf in ihn. Ich wußte nicht, daß er verheiratet war, obgleich er es mir erzählte, bevor unsere - Freundschaft den Höhepunkt erreichte. An all dem, was folgte, trage ich allein die Schuld. Dann kamen die gewöhnlichen Briefe ...«
    »... die Grundlage für die Erpressungen gegen Sie?« fragte Leon.
    Sie nickte.
    »Ich wurde beinahe krank vor Angst und Sorgen, bis ... Nun, ich gab meine Arbeit auf, mein Studium, fuhr wieder nach Hause; aber das kann Sie auch nicht weiter interessieren.«
    »Und wer droht Ihnen mit Bloßstellung?«
    Sie zögerte.
    »Der Mann. Es ist schrecklich, das sagen zu müssen, aber er ist immer mehr und mehr heruntergekommen. Ich habe mein eigenes Vermögen - von meiner Mutter habe ich 2000 Pfund Rente pro Jahr geerbt - und natürlich habe ich gezahlt und gezahlt.«
    »Wann haben Sie den Mann zum letzten Male gesehen?«
    Sie dachte an etwas anderes und antwortete nicht. Als er die Frage wiederholte, fuhr sie auf.
    »Am letzten Weihnachtsfeiertag - nur einen einzigen Augenblick -, er war nicht bei uns eingeladen - ich glaube, er war beinahe am Ende ...«
    Sie war plötzlich verlegen, verängstigt, wußte nicht, was sie sagen sollte und fuhr beinahe atemlos fort:
    »Ich sah ihn nur ganz zufällig. Er erblickte mich nicht, aber es war ein furchtbarer Schlag für mich ... Es war seine Stimme. Er hatte schon immer einen prachtvollen Tenor.«
    »Er sang?« fragte Leon, als sie eine Pause machte, um ihre Selbstbeherrschung wiederzufinden.
    »Ja - in der Kirche«, fuhr sie halb verzweifelt fort. »In der Kirche habe ich ihn gesehen.«
    Überstürzt sprach sie weiter. Es schien, als ob sie angstvoll diese Erinnerung aus ihrem Gedächtnis verjagen, als ob sie auch Leon verhindern wollte, sich mit diesem zufälligen Zusammentreffen zu beschäftigen.
    »Zwei Monate später schrieb er mir - an meine alte Adresse in London. Sagte, er wäre in größtem Elend, wäre verzweifelt, und bat um 500 Pfund. Ich hatte ihm schon mehr als 1000 Pfund gegeben, war nun aber doch vernünftig genug, ihm zu antworten, daß ich nichts mehr für ihn tun könne. Und dann bereitete er mir diese furchtbare Überraschung, sandte mir die Fotokopie eines der Briefe ..., eines der Briefe, die ich ihm geschrieben hatte. Mr. Gonsalez, ich habe in der Zwischenzeit einen anderen Mann kennengelernt und - und John hatte die

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