Das silberne Dreieck
Ich bin nicht hierhergekommen, um Ihnen oder der Dame irgendwelche Vorwürfe zu machen. Auch die Frage, wie Sie die Unglücklichen behandelt haben, die Ihnen leichtsinnigerweise ihr Geld anvertrauten, müssen Sie sich von Ihrem Gewissen beantworten lassen - falls Sie ein solches besitzen. Ich möchte nur das eine von Ihnen erfahren: Ist es Tatsache, daß Sie in verschiedenen Städten auf dem Kontinent Schließfächer oder Depots haben, wo Sie Ihr Geld unterbringen?«
Die Bedeutung dieser Frage entging dem dicken Mr. True nicht.
»Ich habe allerdings verschiedene Depots auf dem Kontinent«, begann er, »aber ich sehe nicht ein, wie ich dazu komme, Ihnen ...«
»Wollen Sie mir gegenüber bitte völlig offen sein!« Leon begann ungeduldig zu werden. »Haben Sie in Budapest, Wien oder sonstwo Privatschließfächer, und tragen Sie die Schlüssel ständig bei sich?«
Mr. Bonsor True lächelte.
»Nein, Sir; ich habe hier und da Depots und Safes, aber nur mit Kombinationsschlössern.«
»Dachte ich's mir doch!« Leons Gesicht hellte sich auf. »Und tragen Sie vielleicht die einzelnen Kombinationen und Stichwörter bei sich?«
Einen Augenblick zögerte True, dann griff er in die Westentasche und zog ein kleines goldenes Buch heraus, kaum größer als eine Briefmarke, das an einer Platinkette hing.
»Hier - ich habe sie immer bei mir -, und warum ich in aller Welt Ihnen meine Privatangelegenheiten auf die Nase binden.« »Mehr wollte ich ja gar nicht wissen.«
Mr. True starrte den Besucher an. Leon lachte leise, aber von ganzem Herzen, und rieb sich die Hände, als ob er den schönsten Spaß erlebt hätte.
»Jetzt wird mir alles klar«, sagte er schließlich. »Jetzt kenne ich auch den Grund, warum Margaret Lein zur Apotheke laufen mußte. Ihretwegen ...«, und sein Finger wies auf den Finanzier.
Mr. Trues Mund öffnete sich.
»Das stimmt - mir wurde plötzlich sehr schlecht.«
»Ja, Mr. True wurde ohnmächtig«, fiel Mrs. Creen ein. »Ich schickte Margaret in mein Zimmer; sie sollte Riechsalz holen, sie konnte es aber nicht finden. Und dann bot sie sich an, nach der Apotheke zu gehen ...«
Leon trocknete sich die Augen.
»Der Spaß ist unbezahlbar - und jetzt kann ich Ihnen alle Vorfälle jenes Abends schildern. Um welche Zeit kamen Sie hierher?«
True dachte nach.
»Gegen sieben.«
»Nehmen Sie gewöhnlich vor der Mahlzeit einen Cocktail, der Ihnen im Speisezimmer serviert wird?«
»Im Salon«, verbesserte Mrs. Creen.
»Sie tranken also Ihren Cocktail und wurden plötzlich ohnmächtig! Mit anderen Worten: Jemand hat ihnen ein kräftiges Betäubungsmittel beigebracht. Mrs. Creen war sicherlich nicht im Zimmer, und Margaret Lein konnte in aller Ruhe Ihr hübsches goldenes Büchlein durchlesen und alle Kombinationen abschreiben, die sie nur haben wollte. Sie hatte ja oft genug Mrs. Creen auf ihren Auslandsreisen begleitet und sehr genau die netten kleinen Methoden kennengelernt, mit denen Sie Ihre erschwindelten Gelder unterbrachten.«
Trues Gesicht wurde erst rot und dann kalkweiß.
»Die Kombinationen?« sagte er heiser: »Sie kennt die Kombinationen? Um Gottes willen!«
Ohne ein weiteres Wort stürzte er aus dem Zimmer, und sie hörten, wie die Wohnungstür hinter ihm zuschlug.
Leon ging viel langsamer seiner Wege, kam aber zeitig genug zum Abendessen nach der Curzon Street.
»Ich stelle keine weiteren Nachforschungen mehr an«, erklärte er seinen Freunden, »aber ich wette, was ihr wollt, daß all die sicheren Safes in Wien und Budapest jetzt leer sind; daß ein geschicktes Mädel, die Tochter eines der Opfer von Mr. Bonsor True, jetzt in der Lage ist, ihren Eltern zu helfen.«
»Woher willst du denn wissen, daß sie Eltern hat?« fragte Manfred.
»Ich weiß es nicht«, gab Leon ohne weiteres zu. »Aber ich bin sicher, daß sie noch einen Vater hat - in der vergangenen Woche fragte ich telegraphisch bei General Pole an, ob seine tüchtige Tochter bei ihm wäre. Er telegraphierte zurück, daß ›Margaret seit einem Jahr im Ausland sei, um ihre Erziehung zu vervollständigen‹ - ich glaube wirklich, daß die Stellung als Kammerzofe bei der Frau eines Börsenschwindlers als ganz nützliche Erziehung betrachtet werden kann.«
8 - Der Sänger in der Kirche
Gewöhnlich bearbeitete Leon Gonsalez die Fälle, die mit Erpressungen zu tun hatten, obgleich er seiner oft ausgesprochenen Meinung nach derjenige war, der sich am allerwenigsten für diese Arbeit eignete. Er war voreingenommen, wenn man so
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