Das silberne Dreieck
erzählen. Zu seinem Erstaunen sah er, wie sich das Gesicht des alten Herrn bedenklich in die Länge zog.
»Sehr bedauerlich«, sagte er, »wirklich sehr bedauerlich. Ich fürchte, ich kann Ihnen auch nicht mehr mitteilen, als Sie bereits wissen.«
»Warum ist es so sehr ›bedauerlich‹?« fragte Leon.
Der Anwalt verzog nachdenklich die Lippen.
»Verstehen Sie richtig - die junge Dame ist nicht unsere Klientin, obwohl wir eine Anwaltsfirma in Melbourne vertreten, die sich dort ihrer Angelegenheiten annimmt. Ihr Vater starb im Irrenhaus, die Hinterlassenschaft war seiner Zeit nicht von Bedeutung. Während der letzten drei Jahre sind aber verschiedene der Besitztümer, Aktien zum Beispiel, ganz bedeutend im Wert gestiegen, und eigentlich hat die junge Dame keinen Grund, einen Beruf auszuüben. Meiner Ansicht nach tut sie es nur, um ihre Familiensorgen zu vergessen und um sich abzulenken. Ich weiß, daß Miss Farrer von der Befürchtung gequält wird, krank zu werden, wie es ihr Vater war. Auf Anraten ihres einzigen Verwandten ist sie, wie ich glaube, nach England gekommen, weil sie hoffte, daß der vollständige Wechsel der Umgebung, das andere Klima sie von den peinigenden Gedanken befreien würden.«
»Hat Miss Farrer Sie aufgesucht?«
Der Anwalt schüttelte den Kopf.
»Einer meiner Klienten ging zu ihr hin. Ein Grundstück in Sydney, das bei der Erbschaftsregulierung durch einen eigenartigen Zufall übersehen wurde, sollte verkauft werden, und mein Klient hatte einen Anteil daran. Wir versuchten, mit dem Testamentsvollstrecker, einem Mr. Plane, in Verbindung zu kommen, hatten aber kein Glück - er ist in China oder Japan -, und so benötigen wir die Unterschrift der Erbin.«
»Plane?«
Mr. Colgate war ein sehr beschäftigter Mann, hatte seiner Ansicht nach schon reichlich Zeit mit dieser Angelegenheit vergeudet und wurde jetzt etwas ungeduldig.
»Plane - ein Vetter des verstorbenen Joseph Farrer, ihr einziger Verwandter. Er war übrigens auf der Farm des alten Farrer in Westaustralien, als jener wahnsinnig wurde.«
Leon war mit einer hervorragenden Kombinationsgabe gesegnet, aber diese Mitteilungen, so genau sie auch sein mochten, konnten doch die Unverständlichkeiten in Miss Farrers Erzählung nicht erklären.
»Meiner persönlichen Ansicht nach«, sagte der Anwalt, »aber ich sage Ihnen dies in strengstem Vertrauen, ist das junge Mädchen nicht ganz ... « Er klopfte sich mit dem Finger auf die Stirn. »Sie erzählte einem meiner Angestellten - und der Mann hat Erfahrung darin, mit jungen Leuten umzugehen -, daß sie Wochen hindurch von einem Schwarzen verfolgt worden wäre und dann wieder von einem schwarzen Bluthund. Wie sie sagte, sei der Bluthund bei ihren sonntäglichen Spaziergängen auf einmal aufgetaucht und hätte sich an ihre Fersen geheftet. Soweit ich aber erfahren habe, hat kein Mensch weder den Schwarzen noch den Hund gesehen. Man braucht nicht Arzt zu sein, um zu wissen, daß derartige Behauptungen auf Verfolgungswahn deuten.«
Leon war mit der mühsamen Arbeit eines Detektivs besser vertraut als der gewöhnliche Durchschnittsmensch und wußte, daß die Lösung eines Rätsels in den seltensten Fällen einem dramatischen Zufall zu verdanken ist, sondern nur durch genaue und geduldige Spürarbeit gefunden werden kann. Er schlug daher denselben Weg ein, den ein Detektiv von Scotland Yard gegangen wäre.
Elsie Farrer wohnte in der Landsbury Road in Clapham, und Nummer 209 zeigte sich als ein gut, beinahe elegant aussehendes Haus. Die mütterliche Wirtin, die ihn in der Halle empfing, war sichtbar erleichtert, als er den Grund seines Besuches angab.
»Ich bin froh, daß Sie gekommen sind«, sagte sie. »Sie sind wohl ein Verwandter von Miss Farrer?« Als Leon verneinte, fuhr sie fort: »So eine merkwürdige junge Dame - ich weiß nicht mehr, was ich von ihr denken soll. Die ganze Nacht hindurch lief sie in ihrem Zimmer auf und ab - sie wohnt direkt über mir -, und heute morgen hat sie nicht gefrühstückt. Ich kann mir nicht helfen - irgend etwas ist da nicht in Ordnung ... Sie ist so eigenartig.«
»Sie wollen damit sagen, sie sei geistig nicht ganz normal?« fragte Leon geradeheraus.
»Ja, Sir, das glaube ich. Ich wollte nach dem Arzt schicken, aber sie sträubt sich mit Händen und Füßen dagegen und sagte mir nur, sie hätte einen furchtbaren Schreck durchgemacht. Sie kennen doch Miss Farrer?«
»Ja - ganz flüchtig«, versetzte Leon. »Darf ich nach oben gehen?«
Die Wirtin
Weitere Kostenlose Bücher