Das silberne Dreieck
sofort behauptete, der Mann hätte die Aktien gestohlen und wollte versuchen, sie durch unsere Vermittlung loszuwerden?«
»Rock?« sagte Leon vor sich hin. »Nein, ich bin nie mit einem Mr. Rock zusammengetroffen. Sein Brief kam doch von Melbourne - stimmt das nicht? - und enthielt nur eine Schließfachnummer und Telegrammadresse. Haben wir jemals wieder von ihm gehört? Ich glaube nicht.«
Keiner der drei Freunde konnte sich an eine weitere Zuschrift des Mannes erinnern; der Brief wurde zu den übrigen gelegt und wäre jedenfalls für alle Ewigkeit in dem Stapel vergraben geblieben, wenn Leon nicht ein so unheimliches Gedächtnis für Zahlen und orthographische Fehler gehabt hätte.
Und dann kam jene ereignisreiche Nacht!
Der scharfe Triller einer Polizeipfeife gellte durch die Curzon Street. Gonsalez, der nach vorn heraus schlief, hörte den Ton im Traum und stand schon am offenen Fenster, bevor er noch ganz wach war. Wieder schrillte die Pfeife, und dann hörte er eilige Fußtritte. Ein junges Mädchen kam die Straße entlang gelaufen. Als sie am Haus vorbei war, blieb sie plötzlich stehen, flog zurück und drückte sich in die Ecke der Haustür.
Mit großen Sätzen sprang Leon die Treppe hinunter und öffnete. Der Flüchtling stand direkt vor ihm.
»Schnell herein!«
Sie zögerte nur einen Augenblick und schob sich dann rückwärts zur Tür hinein; Leon ergriff ihren Arm, zog sie in den Gang und schloß die Tür.
»Sie brauchen keine Angst vor mir oder meinen Freunden zu haben«, sagte er beruhigend, als er fühlte, wie sie sich loszumachen suchte.
»Bitte lassen Sie mich gehen - ich will nicht hierbleiben!«
Leon führte sie in das Hinterzimmer und schaltete das Licht ein.
»Ein Schutzmann kam Ihnen entgegen, darum liefen Sie zurück«, sagte er in seiner ruhigen, gleichmütigen Art und Weise.
»Nehmen Sie Platz und ruhen Sie sich aus, Sie können ja kaum noch weiter!«
»Ich bin unschuldig ...«, begann sie, und ihre Stimme zitterte.
Leon klopfte ihr freundlich auf die Schulter.
»Natürlich sind Sie unschuldig! Aber ich bin schuldig, denn ich habe ganz zweifellos jemanden vor der Polizei verborgen.«
Sie war sehr jung - beinahe noch ein Kind. Das blasse, angstvolle Gesicht war anziehend, ihre Kleidung einfach, aber gut; das einzige, was Leon als eigenartig auffiel, war der Ring an ihrem Finger, der etliche hundert Pfund wert sein mußte, wenn der Smaragd echt war. Er blickte nach der Uhr: wenige Minuten nach zwei. Dann hörte man das Geräusch von schweren Fußtritten, die eilig näher kamen.
»Hat man mich hereingehen sehen?« fragte sie ängstlich, »Es war niemand auf der Straße«, beruhigte er sie. »Und nun erzählen Sie mal, was vorgefallen ist.«
Gefahr und Angst hatten sie bis dahin aufrecht erhalten, aber jetzt kam die Reaktion. Sie weinte still vor sich hin, ihre Lippen zuckten; sie war unfähig, ein Wort hervorzubringen. Leon brachte ein Glas Wasser und hielt es an ihre Lippen - die Zähne klirrten dagegen. Wenn die anderen im Haus ihn auch hörten, so kamen sie doch nicht herunter, um zu sehen, was da vorging. Leons unersättliche Neugier war zu sehr bekannt. Jeder Auflauf in der Nacht würde ihn aus dem Bett und auf die Straße locken.
Nach wenigen Minuten hatte sie sich so weit beruhigt, daß sie ihm ihre Geschichte erzählen konnte - und es war nicht das, was er erwartet hatte.
»Ich heiße Farrer - Elsie Farrer - und bin Stenotypistin in Miss Lewleys Schreibbüro. Das Büro ist Tag und Nacht geöffnet, und gewöhnlich haben zwei von uns Nachtdienst, aber heute ging Miss Leah, die ältere von uns beiden, schon früher nach Hause. ›Tag und Nacht geöffnet‹ ist eigentlich nicht richtig, denn wir schließen gewöhnlich um ein Uhr morgens. Unsere Arbeit hat hauptsächlich mit dem Theater zu tun. Oft müssen nach einer Uraufführung sofort Textänderungen geschrieben werden, dann sind auch manchmal neue Kontrakte geschlossen worden - meistens beim Souper -, die wir dann aufsetzen müssen; hin und wieder werden auch eilige Briefe verlangt. All die bedeutenden Theaterdirektoren sind mir bekannt, und ich bin schon oft genug sehr spät in ihre Büros bestellt worden, wenn es sich um wichtige Arbeiten handelte. Zu fremden Leuten gehen wir natürlich niemals, und dann haben wir auch noch einen Portier und Boten, der aufpaßt, daß wir nicht belästigt werden. Um zwölf rief Mr. Grasleigh vom Orpheum an und fragte, ob ich zwei Briefe für ihn schreiben könnte. Kurze Zeit später
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