Das silberne Dreieck
fertig angezogen war, machte er sich auf den Weg nach dem Curzon House, der Wohnung Mr. Grasleighs. Zu seiner Überraschung fand er weder einen Schutzmann vor der Tür noch an der Ecke der Straße. Die Haustür war geschlossen. Er drückte gerade auf den Knopf, als er den langsamen Schritt eines Polizisten hörte, der über die Straße auf ihn zukam.
»Guten Abend, Mr. Gonsalez. Haben Sie vielleicht den Signalpfiff gegeben?«
»Nein, aber ich habe ihn auch gehört.«
»So ist es mir und drei oder vier meiner Kollegen gegangen«, erzählte der Beamte. »Seit mehr als einer Viertelstunde suchen wir schon die Straßen hier ab, können aber den Mann nicht finden, der Alarm schlug.«
»Vielleicht kann ich Ihnen helfen«, sagte Leon und hörte, wie im gleichen Augenblick die Tür hinter ihm geöffnet wurde. Er wandte sich um und fuhr überrascht zurück. Vor ihm stand der ›ermordete‹ Mr. Grasleigh - im bequemen Schlafrock, mit einer Zigarre im Mundwinkel.
»Nanu!« sagte Mr. Grasleigh. »Was ist denn los?«
»Könnte ich Sie ein paar Minuten sprechen?« fragte Leon, der sich inzwischen von seinem Erstaunen erholt hatte.
»Natürlich«, erwiderte der ›Tote‹, »obgleich es kaum die richtige Besuchszeit ist. Kommen Sie mit nach oben.«
Sehr verwundert folgte ihm Leon in den ersten Stock. Er sah keine Dienstboten, bemerkte aber auch nicht das geringste, das auf eine so dramatische Szene schließen ließ, wie sie das junge Mädchen beschrieben hatte. In dem großen Arbeitszimmer bot Grasleigh seinem späten Besucher einen Stuhl an, und Leon teilte ihm sein Erlebnis mit. Als er zu Ende war, schüttelte der Unternehmer den Kopf.
»Das Mädchen muß wahnsinnig sein! Es ist vollkommen richtig, daß ich sie bestellt hatte, und ich dachte auch, sie wäre es, als es klingelte. Ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß das junge Mädchen heute überhaupt nicht hier gewesen ist ... Ja, den Pfiff habe ich auch gehört, aber nächtlichen Krawallen halte ich mich möglichst fern.« Er blickte Leon prüfend an. »Sie sind doch einer von den ›Dreieck-Leuten‹, Mr. Gonsalez? Wie sah denn das Mädel aus?«
Leon beschrieb seine nächtliche Besucherin, aber der Theaterunternehmer schüttelte den Kopf.
»Kenne ich nicht, habe auch nie von ihr gehört. Ich glaube, Mr. Gonsalez, man hat Sie zum besten gehalten.«
Leon wußte nicht, was er denken oder sagen sollte, und ging nachdenklich zu seinen Freunden zurück.
Am nächsten Morgen sprach er in Lewleys Agentur vor die ihm als solide Firma bekannt war, und unterhielt sich mit der gutmütigen, altjüngferlichen Besitzerin. Seine Fragen mußten sehr vorsichtig gestellt werden, denn es lag ihm vor allem daran, dem jungen Mädchen Unannehmlichkeiten zu ersparen. Glücklicherweise kannte er einen sehr guten Kunden der Firma persönlich, und dadurch gelang es ihm unschwer, die gewünschten Informationen zu erhalten.
»Miss Farrer hat in dieser Woche Nachtdienst und kommt erst heute abend wieder«, erklärte ihm Miss Lewley. »Sie ist seit einem Monat bei uns.«
»Wie lange läßt denn Mr. Grasleigh schon bei Ihnen arbeiten?«
»Auch seit einem Monat«, antwortete sie lächelnd. »Ich glaube, er muß mit Miss Farrers Arbeit besonders zufrieden sein, denn früher ließ er in Dantons Agentur arbeiten, wo sie angestellt war. Als Miss Farrer bei uns eintrat, kam er auch sofort zu uns.«
»Wissen Sie etwas Näheres über sie?«
Sie zögerte einen Augenblick.
»Sie ist Australierin, und ich glaube, ihre Familie muß früher sehr wohlhabend gewesen sein. Über ihre persönlichen Verhältnisse hat sie nie gesprochen, aber ich denke mir, daß sie einmal viel Geld bekommen wird. Einer der Teilhaber von Colgate, der bekannten Anwaltsfirma, hat sie wiederholt aufgesucht.«
Leon erbat die Adresse des jungen Mädchens und machte sich dann auf den Weg, um Mr. Colgate zu besuchen, in dessen Auftrag die ›Drei Gerechten‹ schon verschiedene delikate Angelegenheiten erledigt hatten.
›Colgate‹ war eine alte und beinah altmodische Firma. Ihr Büro lag in der Nähe von Bedford Row. Obwohl sie allgemein unter dem Namen ›Colgate‹ bekannt war, bestand die Firma aus sieben Teilhabern, deren Namen sämtlich auf der Bronzeplatte vor dem Eingang zum Büro angeführt waren.
Mr. Colgate selbst war ein Mann in den Sechzigerjahren; beim Beginn ihrer Unterhaltung zeigte er sich sehr zurückhaltend. Ein glücklicher Gedanke war es, der Leon veranlaßte, ihm die Vorfälle der letzten Nacht zu
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