Das silberne Schiff - [Roman]
insgesamt schien sie sich etwas wohler zu fühlen, seit wir ein paar Anzeichen von Zivilisation errichtet hatten.
Kayleen holte Lebensmittel aus einem großen Kühler. Sie setzte sich auf einen Stein, zerschnitt frisches Djuri-Fleisch und Wurzeln aus dem vergangenen Sommer, um einen Eintopf zu kochen. Ich hockte mich neben sie. »Kann ich irgendwie helfen?«
Sie knurrte, ohne mich anzusehen. »Nein, diese Mahlzeit bereite ich für euch zu. Ich hatte gehofft, ihr würdet freiwillig mitkommen und wir könnten unsere Flucht mit diesem kleinen Festmahl feiern.« Sie zerteilte weiter lange getrocknete Purpurwurzeln und legte sie ins Wasser, damit sie weich wurden. Sie wich immer noch meinem Blick aus.
Eine Feier? Ein Festmahl? Ich blickte mich über die Schulter zu Liam um und zog eine Augenbraue hoch. »Du hast uns gar nicht die Chance gegeben, freiwillig mitzukommen.«
»Ihr hättet es sowieso nicht getan.«
Ich starrte ihren Hinterkopf an. »Liam und ich müssen miteinander reden. Wir werden einen Spaziergang machen.«
Sie schüttelte den Kopf, doch es war eigentlich weder ein Ja noch ein Nein, aber sie griff nach einer weiteren Wurzel.
Ich stand auf und lief los. Liam hatte mich mit wenigen Schritten eingeholt. Als wir weit genug entfernt waren, sagte er zum x-ten Mal: »Sie ist verrückt.«
Ich nahm seine Hand, obwohl mir bewusst war, dass Kayleen es sehen konnte. Doch inzwischen war es mir egal. »Vielleicht war sie es eine Zeitlang. Aber wir haben sie allein gelassen, und wir wissen überhaupt nicht, was sie in der Zwischenzeit erlebt hat. Wir sind keine Windleser, und wir waren lange nicht in Artistos. Wir haben keine Ahnung, wie es für sie war.«
Er schluckte und blickte zu den Bergen, die auf der einen Seite von der Sonne in strahlendes Gold getaucht wurden und auf der anderen in unheilvollem Dunkel lagen. »Es gibt keine Entschuldigung.«
Ich beobachtete die Berge, über denen die hohen Wolken nun in hellem Orange mit goldenen Rändern schimmerten. Ein kleiner Muskel an Liams Hals zuckte mehrmals.
»Was werden wir tun?«, fragte er.
Ich kaute auf der Unterlippe. Ich hatte mich daran gewöhnt, in der Sippe seinen Anweisungen zu folgen. Er kannte die Menschen, die Routinen, die Gefahren und die Rituale. Aber nur ich kannte sowohl ihn als auch Kayleen, obwohl ich Kayleen jetzt gar nicht mehr einschätzen konnte. Ich sprach leise und versuchte, durch seinen Zorn zu dringen. »Ich denke, wir sollten zurückgehen und mit ihr essen. Wieder nach Hause zu kommen schaffen wir nur, wenn wir sie irgendwie erreichen, wenn wir sie dazu bringen, uns nach Hause bringen zu wollen.« Ich drückte seine Hand und lehnte mich gegen ihn, während ich zur Seite blickte, wo Kayleen saß und immer noch über ihre Kochutensilien gebeugt war. »Ihre Laune hat sich heute mindestens hundertmal verändert. Weißt du noch, als wir klein waren und sie und ich und Joseph uns immer große Mühe gegeben haben, dich am Markttag zu finden?« Ich blickte zu ihm auf. »Vielleicht ist es jetzt unsere Aufgabe, sie zu finden.«
Wir standen uns gegenüber, hielten uns weiter an den Händen, und er blickte mir in die Augen. Ich erwiderte den Blick und hatte ein wärmendes Gefühl der Zärtlichkeit. Wir waren an diesem Morgen aufgebrochen und hatten gehofft, die Zeit zu finden, uns in der Höhle zu lieben.
Als er sprach, war seine Stimme genauso sanft wie meine. »Willst du damit sagen, dass du ihr verzeihst?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich will damit sagen, dass ich sie liebe. Ich will damit sagen, dass sie zu unserer Familie gehört.«
Feuchtigkeit schimmerte in seinen Augenwinkeln. Ich hatte bereits geweint, aber er noch nicht, und mir war klar, dass er es jetzt noch nicht tun würde. Er räusperte sich. »Meine Familie ist auf Jini.« Er hob eine Hand und strich mir eine lose Strähne aus dem Gesicht. »Und du. Auch du bist meine Familie.« Er blickte sich zu Kayleen um. »Sie nicht. Sie ist ein Mensch, den ich zweimal pro Jahr sehe und den ich nicht verstehe. Ich vertraue ihr nicht. Ich weiß nicht, wie du es kannst.«
»Ich habe fast jeden Tag meines Lebens mit ihr verbracht, bevor ich mich der Sippe anschloss. Ich war schon immer die Älteste und die Einzige, die uns zusammengehalten hat, zumindest bis vor wenigen Jahren. Das ist für mich von entscheidender Bedeutung.«
Er atmete langsam aus und wandte den Blick ab. »Dir zuliebe werde ich an der Mahlzeit mit ihr teilnehmen. Aber ich kann es nicht für sie tun. Das muss
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