Das silberne Schiff - [Roman]
vertraue ihr vorbehaltlos. Sie und ich machen sich aus den gleichen Gründen Sorgen. Wir beide wollen, dass die Kreativität der Schule zum Positiven eingesetzt wird.«
»Und was hat sie über mich gesagt?«
»Sie hat eine Theorie.« Er schwieg für einen Moment, als der Gleiter abdrehte und über Felder flog. Wir waren bereits weit von der Stadt entfernt. »Ich habe ihr ein bisschen über Fremont erzählt. Sie vermutet, dass du so stark geworden bist, weil du einem ständigen und direkten Stress ausgesetzt warst – durch die Leute und durch die Umwelt. Dinge wie der Verlust deiner Eltern, die Jagd auf Tatzenkatzen und die Verfolgung, weil ihr anders wart.«
»Aber Silberheim kommt mir nicht unbedingt sicherer vor«, sagte ich.
Er lachte. »Das kann ich mir vorstellen. Aber die hier drohenden Gefahren sind andere. Unsere jungen Windleser machen sich größere Sorgen, ob sie einen Job bekommen oder sich wirklich mit ihrer Affinitätsgruppe identifizieren können. Hier geht der Stress von langfristigen Zielsetzungen und Beziehungen aus.« Er musterte mich, als wollte er sich vergewissern, dass ich es verstanden hatte. »Studenten, die einer stabilen Affinitätsgruppe angehören, sind hier erfolgreicher als Einzelkämpfer. Julianne vermutet, dass der direkte Stress, unter dem du standst, und dein Unterstützungsumfeld eine bedeutende Rolle spielten. Jenna scheint dir geholfen zu haben, aber es klingt nicht so, als hättest du sie oft gesehen. Vielleicht deine Schwester?«
Ich runzelte die Stirn, als ich mich erinnerte, wie wir zusammengehalten hatten, wie wir uns mehr oder weniger heimlich getroffen hatten, um wir selbst sein zu können – um gemeinsam in unserem Tempo zu rennen, um zu klettern und zu trainieren. Chelo hatte eine wichtige Rolle gespielt, aber auch Alicia, Bryan, Liam und Kayleen. »Vielleicht musste ich mich zusammenreißen, um Chelo und die anderen zu schützen. Wir mussten all unsere Fähigkeiten einsetzen, um uns gegenseitig Sicherheit zu geben.«
Wieder wendete er den Gleiter und flog nun über kristallblaues Wasser. »Ich wünschte, Chelo wäre hier«, sinnierte er. »Es wäre interessant zu beobachten, wie ihr zusammenarbeitet.«
»Ich werde zu ihr zurückfliegen. Sobald es mir möglich ist.«
»Ich würde gern Fremont sehen und deine Schwester kennenlernen.«
Nichts wünschte ich mir mehr. Nicht, um wieder dort zu leben, aber Chelo fehlte mir so sehr, dass es schmerzte, nur über sie zu sprechen. Ich wandte mich von Marcus ab, um die Tränen in meinen Augen zu verbergen, und blickte wieder aufs Wasser. »Wohin fliegen wir?«
»Zur Insel Pilo. Dort ist es sehr belebt, gut, um in der Menge unterzutauchen. Wir müssen untertauchen. Du hast soeben neue Aufmerksamkeit erregt, wenn auch nicht planetenweit. Charles ist ein Windleser und ein Freak, womit völlig klar ist, dass er sich für dich interessiert. Und diese Aufmerksamkeit ist so groß, dass es besser für uns ist, wenn wir eine Weile anderswo sind.«
»Wo liegt Pilo?«
»Etwa drei Flugstunden entfernt. Südlich, nicht weit von Jo.«
Jo war ein weiterer großer Kontinent wie Li, aber näher am Äquator.
Er lächelte. »Es könnte ein bisschen überwältigend sein. Versuch einfach, nicht zu sehr zu gaffen. Und jetzt könntest du dich ein wenig ausruhen, während ich ein paar falsche Hinweise in den Netzen verteile. Wahrscheinlich weiß inzwischen die gesamte Universität, dass du da warst, und vielleicht sind ein paar Leute hinter uns her, mit denen wir nichts zu tun haben wollen.«
Ich schloss die Augen und versuchte mir alles ins Gedächtnis zu rufen, was ich im Isolationsraum gesehen hatte. In meiner Erinnerung wurde die Stimme des Raums zu Alicias, und ich setzte die Schönheit der Datenstrukturen mit der Komplexität ihres Haars gleich, wenn es vom Schlaf zerzaust war, mit der Glätte ihrer Haut, dem Strahlen ihrer Augen. Das hätte ihr gefallen.
Ich döste ein, wachte auf, döste wieder ein und wachte wieder auf. Jedes Mal, wenn ich durch die Blase blickte, flogen wir immer noch über dem Meer. Wir passierten einige Gleiter, die unter uns flogen, und einmal wies Marcus mich auf eine Gruppe großer Meeresgeschöpfe hin, die er »Shilo-Schlangen« nannte. Sie hatten lange, runde Körper mit dünnen Hälsen und länglichen Köpfen. Sie sprangen und tollten zwischen den leichten Schaumkronen umher und schienen zu spielen. Marcus flog über sie hinweg, und ich zählte fast zwanzig Tiere. Die längsten waren doppelt so lang wie
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