Das silberne Schiff - [Roman]
sei sehr stark. Schon auf dem ersten Level hat er alles übertroffen, was wir bisher erlebt haben. Das hat den Alarm der KI ausgelöst – der Junge steht weit außerhalb der Norm.« Charles wirkte gleichzeitig aufgeregt und empört – und stolz, entweder auf sich selbst oder auf mich, das ließ sich nicht so genau sagen. Ich beobachtete ihn neugierig, als er fortfuhr. »Also legte ich ihm die Abschlussprüfung vor – für die Meisterstudenten. Und er hat sich sofort ans Werk gemacht – in einem Tempo, das du niemals erreicht hast!«
Ein amüsiertes Lächeln entstand auf Marcus’ Gesicht. »Also bist du einfach mal heruntergekommen, um ihn zur Rede zu stellen … und weswegen? Weil er seine Sache gut gemacht hat?«
Charles wippte auf den Fußballen, als wäre er völlig aus dem Häuschen. »Also ist er es! Serge sagte, dass du ihn vielleicht hast.«
Marcus winkte mir, neben ihn zu treten.
Charles stand in der Tür und versperrte mir den Weg. Er musterte mich von oben bis unten. Marcus legte ihm eine Hand auf die Schulter und zog ihn behutsam zur Seite. Er ließ Charles nicht los, bis ich ihn passiert hatte.
Ich drehte mich zu dem Mann um. Das strenge Leuchten in seinen Augen war verblasst, hatte deutlich an Intensität verloren.
»Charles«, sagte Marcus, »hier gibt es nichts für dich zu tun. Der Junge hat seine Sache gut gemacht.«
»Aber … aber … überleg nur, wie viel er für unsere Schule tun könnte.« Er klang beinahe flehend. »Was wir für ihn tun könnten. Wir haben das nötige Werkzeug …«
»Nein, Charles«, unterbrach Marcus ihn. »Außerdem hat er die Abschlussprüfung bereits bestanden, wie du gesagt hast.« Er legte mir eine Hand auf meine Schulter und sprach zu mir. »Lass uns gehen.«
Charles runzelte die Stirn. »Du begehst einen Fehler. Schreibe ihn bei uns ein, dann kann ihn keiner mehr fortbringen.« Er zögerte, dann konnte er sich nicht mehr zurückhalten. »Bitte!«
Marcus blickte auf mich herab, zog eine Augenbraue hoch und zwinkerte mir zu. »Möchtest du hierbleiben?«
Eigentlich hätte ich mich gern länger in diesem Raum aufgehalten. Aber ein Blick auf Charles machte mir die Gründe klar, warum ich es nicht tun sollte. Mit Marcus an meiner Seite fühlte ich mich jetzt mutiger, vielleicht sogar etwas übermütig. »Mann, das hat Spaß gemacht! Aber wenn das schon die Abschlussprüfung war, verzichte ich lieber darauf.« Ich schaute zu Charles hinüber, der mit weit aufgerissenen Augen und gerötetem Gesicht dastand. »Aber vielleicht können wir irgendwann mal zu Besuch kommen.«
Marcus zwinkerte mir zu, dann machten wir kehrt und gingen bewusst langsam durch den Korridor mit den bunten Darstellungen zurück. Diesmal erkannte ich die Bilder von Islas, eine geordnete Perfektion, die so atemberaubend wie Silberheim war, aber ohne das Chaos und mit nur halb so vielen Farben. Der Himmel hatte einen anderen Blauton, sogar noch tiefer als der über Fremont.
Wir gingen zum Gleiter. Als wir einstiegen, sagte ich: »Also darf ich vermutlich noch nicht selber fliegen, oder?«
Er lachte nicht, und ich hatte es auch gar nicht erwartet. Stattdessen wurde er sehr nachdenklich. Die Blase hatte sich über uns geschlossen, aber wir bewegten uns noch nicht. Er schüttelte den Kopf. »Nein, Joseph. Du hast meine Erwartungen übertroffen.« Er runzelte die Stirn. »Magenprobleme?«
Ich grinste ihn an, obwohl ich nach der unverhofften Begegnung immer noch nervös war. »Zuerst nicht, dann aber doch. Ich bin verdammt froh, dass du aufgekreuzt bist. Wunderbar war es trotzdem! Ich habe so viel gelernt. Gibt es etwas Ähnliches wie das hier noch einmal?«
Er sah mich nur an, dann schüttelte er langsam den Kopf. »Ich glaube, wir werden uns für eine Weile aus der Öffentlichkeit zurückziehen.«
Kapitel 21
Mit Marcus auf Pilo
Als wir von der Universität abgeflogen waren, blickte Marcus geradeaus und kaute auf der Unterlippe. Die Sonne schien hell durch die getönte Blase über der Kabine des Gleiters und ließ die rötlichen Strähnen in seinem braunen Haar schimmern. Er hatte nichts über die Begegnung mit Charles gesagt, die letztlich beinahe komisch gewesen war. Schließlich räusperte ich mich. »Hast du dich mit deiner Freundin getroffen?«
Er nickte. »Julianne. Sie studiert die Windleser, ist so etwas wie eine Psychologin. Sie hilft den Studenten, die Ausbildung erfolgreich zu bewältigen.« Er warf mir einen Seitenblick zu. »Ich habe mit ihr über dich gesprochen. Ich
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