Das silberne Zeichen (German Edition)
verlegen. «Herrin, wir könnten versuchen, sie gemeinsam …»
«Nein.» Marysa winkte ab. «Das wird nichts, Balbina. Die Stiege ist viel zu eng. Wir verletzen sie nur noch mehr.»
«Ich weiß was», mischte sich Imela unvermittelt ein. Aller Augen richteten sich auf sie. Das stille Mädchen errötete bis zu den Haarwurzeln. «Einer von den Männern, Jaromir oder Milo, trägt sie und ich halte ganz fest ihre Hand. Ja, Geruscha?» Sie suchte den Blick der anderen Magd. «Ich bleib ganz dicht bei dir, dann kann dir nichts passieren. Niemand tut dir was, weil ich ja bei dir bin.»
Zweifelnd blickte Marysa zwischen ihren beiden Mägden hin und her. «Imela, ich glaube nicht, dass …»
«Doch, das geht!», beharrte Imela. «Geruscha hat Angst vor Männern, die sie anfassen. Aber wenn ich sie fest bei der Hand nehme, weiß sie, dass sie nicht allein ist. Damals war sie nämlich ganz allein. So war es doch, Geruscha?»
Geruscha senkte den Kopf, antwortete jedoch nicht.
«Also los», rief Milo und beugte sich erneut über seine Base. Sie schrie leise auf und boxte ihn heftig in den Magen.
«Verflixt!» Beinahe wäre er ebenfalls gestürzt. Gerade noch fing er sich und rieb sich die Stelle, an der ihn Geruschas Faust getroffen hatte. Finster blickte er zu Imela auf. «Noch so eine gute Idee?»
«Ich war doch gar nicht bei ihr!», verteidigte Imela sich und schob sich nun ganz dicht vor die andere Magd. «Nimm meine Hand», forderte sie sie eindringlich auf. «Solange du meine Hand hältst, kann dir nichts passieren.»
Zögernd ergriff Geruscha Imelas Hand. Sie zitterte am ganzen Leib.
«Also los dann», brummelte Jaromir. «Ich will nicht die ganze Nacht hier rumstehen.» Er quetschte sich an Imela vorbei. «Wehe, du beißt mich!», sagte er zu Geruscha und hob sie umständlich hoch. Geruscha stieß einen ängstlichen Laut aus und klammerte sich wie eine Ertrinkende an Imelas Hand fest.
«Schon gut, schon gut», murmelte Imela beruhigend. «Ich bin ja da.»
Zu dritt stiegen sie vorsichtig die Stufen hoch. Jaromir brachte Geruscha zu ihrem Bett und legte sie dort vorsichtig ab. Sie schien wie erstarrt und blickte mit weit aufgerissenen Augen zu ihm auf.
Er nickte ihr verunsichert zu. «War gar nicht so schlimm, oder? Ich tu dir schon nix.»
«Also gut, alle raus hier», befahl Marysa erleichtert. «Außer Imela natürlich.» Sie nickte der jungen Magd anerkennend zu. «Jetzt werden wir uns erst einmal um Geruschas Blessuren kümmern.»
«Ich mach Wasser heiß», verkündete Balbina und eilte hinunter in die Küche.
***
Geruschas Knöchel und ihr linker Arm waren verstaucht. Außerdem würde sie einige blaue Flecken davontragen, doch zum Glück war nichts gebrochen. Nachdem Marysa sich um die Verletzungen gekümmert hatte, nahm sie Imela kurz beiseite. «Das war sehr weitsichtig von dir», lobte sie. «Woher wusstest du, wie man Geruscha beruhigen kann?»
«Ich wusste das nicht. Dachte nur, es sei eine gute Idee, Herrin. Ich mag Geruscha gern. Sie hat Angst davor, angefasst zu werden. Selbst wenn ich sie aus Versehen berühre, zuckt sie zusammen. Sie hat mir ein bisschen erzählt von … na ja, von damals, als ihr … das … passiert ist. Vier Soldaten, Herrin! Da würd’ ich mich auch nie wieder anfassen lassen wollen.»
Marysa nickte. «Ich vermutlich auch nicht. Aber ich dachte, das wenigstens Milo … Er ist schließlich ihr Vetter.»
Imela hob die Schultern. «Aber auch ein Mann, Herrin. Er ist in den letzten Monaten richtig kräftig geworden, nicht mehr so dünn wie früher. Kann sein, dass sie besonders vor großen, starken Männern Angst hat.»
Imelas Wangen erröteten. Marysa verkniff sich einen Kommentar, musterte ihre junge Magd nur eingehend. «Soso», murmelte sie. «Dann kann Jaromir ja froh sein, dass sie ihn nicht tatsächlich gebissen hat. Immerhin ist er noch größer als Milo.»
Um Imelas Mundwinkel zuckte es. «Aber er ist nicht so vorlaut, sondern immer ganz ruhig und …»
«Und was?»
«Ich glaube, er ist ein bisschen schüchtern.» Nun lächelte Imela. «Vor schüchternen Männern braucht man nicht so viel Angst zu haben.»
«Mhm.» Marysa runzelte die Stirn. «Du bist ein kluges Mädchen, Imela. Jetzt geh wieder zu Bett.»
«Ja, Herrin. Gute Nacht.»
Marysa wartete, bis sich die Tür hinter ihrer Magd geschlossen hatte, dann nahm sie ihre Lampe und wollte sich ebenfalls in ihre Kammer zurückziehen. Sie zögerte jedoch und holte zuerst das Pilgerabzeichen und den
Weitere Kostenlose Bücher