Das silberne Zeichen (German Edition)
um Marysa, die von jenen Leuten entführt worden war, zu befreien.
Christoph dachte mit gemischten Gefühlen daran zurück. Er war sich nicht sicher, wie viel Jacobus damals gesehen hatte. In seiner Erleichterung, dass Marysa wohlauf war, hatte Christoph diese lange in seinen Armen gehalten und auch geküsst. Das konnte ihm nun vielleicht zum Verhängnis werden. Ein Kuss war zwar selbst für einen Dominikaner – oder angeblichen Dominikaner – kein Verbrechen, jedoch durfte man Jacobus nicht unterschätzen. Wenn er zwei und zwei zusammenzählte, würde er sicher die richtigen Schlüsse ziehen und Christophs Geschichte umso misstrauischer gegenüberstehen.
Bisher war Christoph dem Inquisitor nicht wieder begegnet. Bei der Befragung war er nicht anwesend gewesen. Zwar war Christoph beim Eintreten in die Acht ein Mann in einem weißen Habit aufgefallen, doch als er sich nach ihm umgesehen hatte, war dieser verschwunden gewesen. Später hieß es, Jacobus habe wegen dringender Geschäfte die Stadt verlassen und würde erst in einigen Tagen zurückerwartet.
Also fand die Befragung lediglich durch die Schöffen statt, danach hatte man Christoph in diese Zelle gesperrt, die kaum drei Schritte lang und zwei Schritte breit war. Ein Loch mit einer Grasmatte am Boden, einer mottenzerfressenen Decke und einem Fäkalieneimer. Zumindest war er allein. Die verlausten Gestalten, die man in den anderen Zellen zusammenpferchte, waren als Gesellschaft ganz gewiss nicht nach seinem Geschmack.
Tagsüber konnte er von seiner Zelle aus dem geschäftigen Treiben der Stadt lauschen. Auch jetzt vernahm er häufig Schritte und Stimmen. Spät war es noch nicht, viele Handwerker befanden sich gerade auf dem Heimweg oder suchten zum Ausklang des Tages eine Taverne auf, um die Anstrengungen des Tages mit einem Krug Bier hinunterzuspülen.
Unvermittelt wallte Zorn in Christoph auf. Er hieb mit der Faust gegen die raue Steinwand. Wie oft hatte er sich in den vergangenen Tagen verflucht! Nein, nicht sich, sondern seinen Leichtsinn. Niemals hätte er die Tasche mit den Urkunden unbeaufsichtigt in der Herberge liegenlassen dürfen. Doch er war überhaupt nicht auf den Gedanken gekommen, dass ihm jemand nachstellen und ihn bestehlen könnte. Es hatte keinerlei Hinweise gegeben, dass jemand im Herbst ihn und Marysa beobachtet oder belauscht hatte. Natürlich hatte Milo so einiges mitbekommen – wie viel genau, würde wohl das Geheimnis des Knechts bleiben. Der Junge hatte keinen Grund, Marysa oder ihm etwas Böses zu wollen. Im Gegenteil. Christoph hatte Milo stets als loyal und dankbar erlebt. Der Junge kam von der Straße, sein Vater war ein Tagelöhner, seine Mutter und die Schwester verdingten sich als Wäscherinnen. Die Stellung in Marysas Haushalt war für ihn ein Glücksfall gewesen, und das wusste Milo.
Nein, der Knecht kam nicht in Frage. Auch das andere Gesinde in Marysas Haus wollte er nicht in Betracht ziehen. Er schüttelte den Kopf. Diese Gedanken hatte er in den letzten Stunden und Tagen ebenfalls zur Genüge in seinem Kopf gewälzt. Kurz hatte er überlegt, ob Heyn oder Leynhard etwas mit dem Diebstahl zu tun haben könnten. Beide hätten durch eine Heirat mit Marysa die Meisterwürde und eine gutgehende Werkstatt erlangen können. Christophs Erscheinen hatte dem abrupt ein Ende gemacht. Aber auch das schien ihm abwegig. Weder der Altgeselle Heyn noch Leynhard Sauerborn waren in seinen Augen gewitzt genug für eine solche Tat. Ganz abgesehen davon, dass Marysa beide ebenfalls immer als sehr loyal beschrieben hatte.
Es musste jemand anders sein. Jemand, der einen Vorteil aus Marysas Elend zog oder aber aus seinem – Christophs – Tod.
Marysas Vetter Hartwig war der Einzige, der profitieren würde, wenn ihre Werkstatt geschlossen würde. Einmal abgesehen vielleicht von ihren Konkurrenten im Reliquienhandel. War Hartwig wirklich derart skrupellos? Verschlagen, ja, auch aufbrausend. Doch war er wirklich fähig, einen Mann aus Berechnung den Wölfen zum Fraß vorzuwerfen und damit das Leben seiner Cousine zu zerstören?
«Wer sonst?», murmelte Christoph und blickte wieder hinaus zum nachtschwarzen Himmel. Gort Bart vielleicht? Dieser hirnlose Schürzenjäger, den Hartwig gern als Marysas Ehemann gesehen hätte? War er vielleicht derart nachtragend? «Möglich wäre es», überlegte Christoph, «aber nicht sehr wahrscheinlich.» Gort Bart war nicht mit sonderlich viel Verstand gesegnet.
«Verflucht!» Wieder hieb Christoph mit
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