Das silberne Zeichen (German Edition)
keine Auskunft geben. Es heißt jedoch, dass der Domherr van Oenne morgen oder übermorgen zurückerwartet wird. Offenbar hat er seinen Schreiber vorausgeschickt. Auf dem Parvisch traf ich zufällig den alten Amalrich. Von ihm konnte ich erfahren, dass Bruder Jacobus die Stadt in Richtung Süden verlassen hat.»
«Süden?» Marysa machte ein enttäuschtes Gesicht. «Das ist alles? Noch ein oder zwei weitere Tage in Ungewissheit! Ich wünschte, sie würden mich endlich zu Christoph einlassen. Wenn ich mir vorstelle, dass er mit irgendwelchem Gesindel eine Zelle teilen muss …»
«Er schlägt sich schon durch, Marysa.» Bardolf legte beruhigend eine Hand auf ihre Schulter. «Christoph weiß, wie man überlebt. Abgesehen davon scheint er nach der Befragung durch die Schöffen in eine Einzelzelle verlegt worden zu sein.»
«Wirklich?»
Bardolf verzog nachdenklich die Lippen. «Ich bin mir nicht sicher, ob uns das froh stimmen sollte. Einzelhaft verhängen die Schöffen meist nur über sehr gefährliche Männer. Mag sein, es hat damit zu tun, dass das Marienstift sich eingemischt hat und eine Untersuchung wegen Ketzerei anstrebt.»
Marysa ließ den Kopf hängen. «Du meinst, es ist jetzt womöglich noch schlimmer für ihn als vorher?»
«Wie gesagt, ich bin mir nicht sicher. Wir werden uns gedulden müssen, zumindest bis van Oenne wieder in der Stadt ist. Du hast ein gutes Verhältnis zu ihm. Vielleicht lässt er mit sich reden.»
«Er versprach mir, dafür zu sorgen, dass Christoph die Gelegenheit bekommt, seine Herkunft zu beweisen.»
«Siehst du.» Bardolf lächelte leicht, doch seine Augen blickten weiterhin ernst drein. «Du darfst dir nicht zu viele Sorgen machen. Das führt zu nichts, verursacht dir nur Unbehagen. Sobald dieser Bote mit den Urkunden aus Frankfurt zurück ist …»
«Das ist es ja!», brauste Marysa auf. «Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache. Nicht, seit Christoph mir diese Warnung hat zukommen lassen. Was, wenn dem Mann unterwegs etwas zustößt?»
«Du hast doch Leynhard hinter ihm hergeschickt», mischte Jolánda sich ein. «Zu zweit werden sie schon aufeinander achtgeben können.»
«Wenn Leynhard ihn wirklich erreicht hat», erwiderte Marysa. «Was, wenn er ihn verpasst hat? Er könnte zu spät kommen – und wer weiß, ob derjenige, der hinter alldem steckt, nicht auch Leynhard etwas antun würde?» Sie schlug die Hände vors Gesicht. «Es wäre besser gewesen, einen bewaffneten Mann nach Frankfurt reiten zu lassen.»
«Einen Bewaffneten?» Bardolf ergriff ihre Hände und zog sie sanft von ihrem Gesicht fort. «Marysa, woher hättest du einen solchen Mann denn nehmen sollen?»
«Ich weiß es nicht. Ich hätte einen der Kaufleute in der Stadt fragen können. Die Wein- und Tuchhändler kennen genug Leute, die für Geld die Handelskarawanen bewachen.»
«Hör auf damit!», schnitt Jolánda ihr ungewöhnlich rüde das Wort ab. «Kind, du steigerst dich da in etwas hinein. Leynhard ist ein guter Mann. Ein bisschen langsam zuweilen, das mag sein. Aber er ist umsichtig und gewissenhaft. Er wird den Boten finden – wahrscheinlich hat er das schon – und ihn warnen. Sobald die Urkunden kopiert und gesiegelt sind, kehren sie heim. Das Wetter ist gut, sie werden für den Weg nicht allzu lange brauchen. Du wirst sehen, in ein paar Tagen ist die Sache ausgestanden.»
Zweifelnd blickte Marysa ihrer Mutter in die Augen. «Glaubst du das wirklich?»
Jolánda schwieg.
***
Christoph stand still an dem vergitterten Fensterchen seiner Zelle und starrte hinaus in die frühabendliche Dunkelheit. Durch die Fensteröffnung konnte er die Fassade des gegenüberliegenden Hauses sowie ein Stückchen Himmel erkennen. Die ersten Sterne blinkten am Firmament, ein leichter Wind war am Nachmittag aufgekommen. Er brachte weitere milde Luft mit sich. Christoph war lange genug auf Wanderschaft gewesen, um den Geruch des sich ankündigenden Regens bereits wahrzunehmen. Aus den anderen Gefängniszellen drangen leise Stimmen und sogar Gelächter zu ihm herüber. Dennoch war er froh, dass man ihn nach dem Besuch in der Acht in Einzelhaft gesteckt hatte. Angeblich auf Anordnung des Inquisitors aus dem Marienstift, Jacobus von Moers. Christoph fragte sich, was der Dominikaner wohl vorhatte. Er erinnerte sich gut daran, dass Jacobus maßgeblich an der Verurteilung jener Männer beteiligt gewesen war, die die Bauarbeiten an der Chorhalle des Doms sabotiert hatten. Damals war er gerade rechtzeitig erschienen,
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