Das silberne Zeichen (German Edition)
in der Acht Bericht zu erstatten. Dennoch musste Marysa ihnen zusichern, den Leichnam nicht fortzuschaffen, bis der Richter selbst ihn sich angesehen hatte. Der Vorwurf der Selbsttötung bestehe weiterhin, bis Vogtmeier oder Richter ein anderes Urteil fällten.
Obwohl ihr der Appetit gründlich vergangen war, aß Marysa um ihres Kindchens willen eine Kleinigkeit, dann ging sie noch einmal in den Stall, um für Heyns Seele ein Gebet zu sprechen. Sie konnte nicht verhindern, dass dabei ihre Gedanken immer wieder abschweiften.
War es wirklich Gort Bart gewesen, der Heyn umgebracht hatte? Marysa hatte den Bütteln schweren Herzens seinen Namen genannt und von ihrem Verdacht berichtet. Die Blicke der beiden Männer, als sie von ihrem nächtlichen Gespräch mit dem Schreinergesellen gesprochen hatte, waren eindeutig gewesen. Ihr Ruf würde, wenn die beiden die Sache weitertrugen, erheblichen Schaden nehmen. Gleichwohl hatte sie keine Wahl gehabt. Wenn sie den Schuldigen an Heyns Tod seiner gerechten Strafe zuführen wollte, musste sie das Gerede der Aachener über ihren Lebenswandel wohl in Kauf nehmen.
Eine Sache beschäftigte sie ganz besonders: Wenn tatsächlich Gort der Mörder war – aus welchem Grund hatte er die Tat begangen? Der Höker aus Trier hatte eindeutig Heyns Namen genannt, als es um die Silberzeichen ging. Wenn also Heyn für den Diebstahl und den Betrug verantwortlich war, wäre ein Selbstmord aus Reue nachvollziehbar gewesen. Gort jedoch – oder wer auch immer sonst – hatte es nur so aussehen lassen, als habe sich Heyn erhängt. Vielleicht – nein, ganz sicher – in der Hoffnung, damit von sich selbst abzulenken.
Bedeutete das, der Altgeselle hatte doch nichts mit den Pilgerabzeichen zu tun gehabt? Wie aber kam der Höker ausgerechnet auf seinen Namen?
Marysa erhob sich von dem kleinen Schemel, auf dem sie ihr Gebet gesprochen hatte, und trat zu einem der beiden Pferde. Nachdenklich streichelte sie ihm über den Hals.
Hatte Heyn die Abzeichen vielleicht nicht freiwillig an den Höker verkauft? War er gezwungen worden, oder hatte er im Auftrag gehandelt? In wessen Auftrag?
Plötzlich wurde ihr eiskalt. Sie hatte in der vergangenen Nacht schon geahnt, dass Gort nicht aus eigenem Antrieb zu ihr gekommen war. Er war weder klug noch mutig genug, so etwas hinter Hartwigs Rücken zu unternehmen.
Hatte also ihr Vetter ihn geschickt? Und würde das nicht bedeuten, dass er auch hinter der Sache mit den Pilgerabzeichen steckte?
Marysas Finger krallten sich kurz in die Mähne des Pferdes. Es schnaubte leise und wandte ihr fragend den Kopf zu. Nein, das konnte doch nicht sein, oder? Andererseits: Hartwig war Schreinbauer. Er hätte die gefälschten Abzeichen problemlos in die Amulette einpassen können. Als Verwandter hatte er leichten Zugang zu ihrem Haus. Außerdem war er der oberste Zunftgreve, und damit wusste er auch immer um alle Vorgänge und Aufträge, die die einzelnen Handwerker erhielten. Zumindest würde es ihm nicht schwerfallen, an die entsprechenden Informationen zu gelangen.
Obwohl ihr das Blut heftig durch die Adern rauschte, zwang sich Marysa dazu, ihre Finger zu entspannen und das Pferd weiter sanft zu streicheln. Die Gedanken begannen wild in ihrem Kopf herumzuwirbeln; sie musste versuchen, sich zu beruhigen und einen klaren Kopf bewahren!
Dass Hartwig für Christophs Verhaftung verantwortlich war und womöglich hoffte, Macht über sie zu erlangen, war eine Sache. Wenn sich nun aber herausstellte, dass er auch für den Betrug mit den Pilgerabzeichen verantwortlich war, würde dies ein geradezu erschreckendes Licht auf ihren Vetter werfen. War er so neidisch oder missgünstig ihr gegenüber, dass er nicht nur ihr Glück, sondern gar ihr ganzes Leben zerstören wollte? Und ging er dabei so weit, sogar unbeteiligte Menschen zu töten?
«Er muss verrückt geworden sein», murmelte Marysa und wandte sich von dem Pferd ab. Rastlos ging sie im Stall auf und ab. Wie sollte sie all dies nur beweisen, wenn sie es selbst kaum glauben konnte?
27. KAPITEL
Er hielt sich versteckt. Zunächst hatte er sie beobachtet, doch als der Priester gekommen war, hatte er es vorgezogen, sich zurückzuziehen. Noch war es nicht so weit.
Marysas Knecht hatte die silbernen Zeichen gefunden; sein Plan schien aufzugehen. Um Heyn Meuss war es nicht weiter schade gewesen. Ihn hatte er sicherheitshalber getötet, nachdem er ihm mitten in der Nacht zu Marysas Haus gefolgt war. Heyn hatte ihn in Burtscheid
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