Das silberne Zeichen (German Edition)
hinten gedrückt, bis Christoph dachte, seine Schultergelenke würden nicht mehr standhalten. Nichts weiter, als dass er der Sohn von Beatus Schreinemaker war und als solcher dessen Erbe sowohl an Besitz als auch was den Beruf anging, hatte er preisgegeben. Auch nicht, als man ihn zur Abwechslung auf eine Holzbank legte, Hände und Füße festband und mit Hilfe eines Flaschenzugs schrittweise streckte.
Christoph wusste, dies war nur der erste Grad der peinlichen Befragung und vergleichsweise harmlos. Seine Glieder schmerzten von der Überdehnung wie Feuer, doch war das vermutlich nichts gegen die Pein, die ihm bevorstand, würde man den Henker um die Verwendung jener Grauen erweckenden Werkzeuge bitten, die in einem Regal an der hinteren Wand des Kellerraumes lagen, in dem die Befragung stattfand. Die Wahrscheinlichkeit, dass er in diese Bedrängnis geriet, war allerdings eher gering. Die Schöffen hatten, so viel war Christoph zu Ohren gekommen, ohne Einverständnis des Stiftsgerichts gehandelt. Obgleich die kirchlichen Gerichte grundsätzlich nicht zimperlich waren, die Folter zur Wahrheitsfindung durch weltliche Personen ausführen zu lassen, musste der Schöffenmeister mit einigem Ärger rechnen. Er hatte die Befragung abrupt abgebrochen, als ein Gerichtsdiener die Ankunft des Rochus van Oenne in der Acht vermeldete.
Schon früher hatte Christoph erlebt, wie Stadt und Marienstift um die Frage der Zuständigkeit der Gerichte rangen. Christophs Glück in diesem Fall war, dass er als der Ketzerei Verdächtigter eines kirchenrechtlichen Verbrechens beschuldigt wurde. Sein Pech, dass die Verfolgung desselben sowohl von weltlichen als auch kirchlichen Gerichten, die Bestrafung wiederum ausschließlich von den weltlichen vorgenommen wurde. Beide Instanzen stritten nun um ihr Vorrecht.
Wenn nur Marysas Bote endlich aus Frankfurt zurück wäre! Christoph hatte die Tage gezählt, nachgerechnet, wie lange ein Berittener für die Strecke brauchte, wenn er regelmäßig die Pferde wechseln konnte. Zählte man die Zeit hinzu, die es dauerte, bis die fraglichen Urkunden kopiert waren, konnte es nur noch eine Frage von Stunden sein.
Christoph rutschte auf seinem Lager unruhig hin und her. Er hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. Etwas sagte ihm, dass sie vergeblich warteten. Vielleicht hatte ihn auch nur die Gefangenschaft mürbe gemacht, aber sein Instinkt riet ihm, sich auf das Schlimmste gefasst zu machen. Es war fraglich, ob man einen weiteren Boten nach Frankfurt schicken würde. Grundsätzlich waren die Schöffen dazu verpflichtet, sich alle Beweise beschaffen zu lassen, die die Unschuld eines Angeklagten untermauerten. Doch die Art, wie sie ihn heute befragt hatten, ihre Wortwahl, ließ darauf schließen, dass sie mehrere Zeugen aufgetrieben hatten, die ihn eindeutig identifizieren würden – als Bruder Christophorus. Und wie sollten diese Männer – wer sie auch waren – dies nicht tun? Er war Bruder Christophorus oder – hielt er sich an die Geschichte, die der Wahrheit ebenso nahe war – der Bruder desselben.
Verärgert stellte er fest, dass er sich in eine verfahrene Situation manövriert hatte. Er war jener Ablasskrämer gewesen, der sich als Inquisitor ausgegeben und allein dafür schon die Höchststrafe zu erwarten hatte. Aber ebenso war er der Zwilling von Bruder Christophorus, dem Dominikaner. Ihm äußerlich so ähnlich, dass selbst die Eltern hin und wieder für einen Moment hatten getäuscht werden können.
Erschöpft schloss Christoph die Augen. Über ihn und seinen Bruder gab es nicht nur Aufzeichnungen beim Rat der Stadt Frankfurt, bei dem sein Vater unter anderem diverse Renten zur Versorgung seiner Familie hinterlegt hatte. Auch im Kirchenregister waren sie selbstverständlich mit ihrem Geburtstag vermerkt.
Ein plötzlicher Einfall ließ Christoph die Augen wieder öffnen und sich aufrichten. Die Schmerzen, die ihn durchfuhren, ließen ihn aufstöhnen, doch er unterdrückte sie sogleich und bemühte sich, seine Gedanken zu ordnen. Es gab noch jemanden, der seine Existenz – oder vielmehr die der Zwillinge – bestätigen konnte. Hilflos blickte er sich in der düsteren, engen Zelle um. Doch wie um alles in der Welt konnte er ihn erreichen?
***
«Ihr habt was getan?» Rochus van Oenne starrte den Schöffen Wolter Volmer entsetzt an. «Wie könnt Ihr es wagen, eine Anordnung des Stiftsgerichts zu ignorieren? Keine Befragungen, habe ich gesagt. Eine peinliche schon gar nicht.»
«Spielt Euch
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