Das silberne Zeichen (German Edition)
nicht so auf», erwiderte Volmer in hochfahrendem Ton. «Das Stadtgericht hat getan, was zur Wahrheitsfindung nötig ist. Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber wir sind sehr daran interessiert, einen Betrüger so rasch dingfest zu machen wie nur möglich. Das sind wir den Bürgern Aachens schuldig.» Er kniff argwöhnisch die Augen zusammen. «Es klingt fast, als wolltet Ihr diesen Mann in Schutz nehmen.»
«Jawohl, das will ich», schoss van Oenne wütend zurück. «Er muss beschützt werden vor Männern wie Euch, die sich einbilden, aufgrund von bloßen Anschuldigungen Recht sprechen zu dürfen. Es war ausgemacht, dass wir abwarten, bis Jacobus von Moers wieder in Aachen eintrifft. Abgesehen davon wisst Ihr so gut wie ich, dass noch Beweise ausstehen, die es zu berücksichtigen gilt.»
Marysa, die in Begleitung des Domherrn in die Acht gekommen war, blickte sprachlos zwischen den beiden Männern hin und her. Man hatte Christoph gefoltert! Wut und Angst rangen in ihr um die Vorherrschaft. Was hatten sie ihm angetan? Selbst der erste Grad der peinlichen Befragung war schrecklich. Sie hatte genug davon gehört, um vor ihrem inneren Auge die schlimmsten Bilder zu sehen. Dabei hatte sie gehofft, endlich zu Christoph vorgelassen zu werden und in Ruhe mit ihm sprechen zu können. Sie war zu van Oenne gegangen, um ihn von Heyns Tod zu berichten. Selbstverständlich war er bereits im Bilde gewesen und hatte auch schon vernommen, dass die Büttel hinter der scheinbaren Selbsttötung einen Mord vermuteten.
Dass sich diese Dinge so rasch zu ihm herumgesprochen hatten, machte Marysa wieder einmal klar, welchen Einfluss das Marienstift in Aachen hatte. Normalerweise entging den Domherren nichts, was sich innerhalb der Stadtmauern abspielte.
Deshalb war van Oenne auch so zornig. Man hatte ihn über das Vorgehen in der Folterkammer nicht in Kenntnis gesetzt. Allerdings hätte er es offensichtlich auch nicht gutgeheißen, wenn man ihm vorab darüber Bescheid gegeben hätte. Selbst wenn sie es aufgrund ihres nächtlichen Gesprächs mit Christoph eine Zeitlang für möglich gehalten hatte, dass er mitschuldig an den Vorfällen der letzten Zeit war, vertraute sie ihm heute wieder. Rochus van Oenne war ein ehrenwerter Mann. Er bemühte sich um Gerechtigkeit. Welchen Grund sollte er haben, dies in ihrer Gegenwart nur vorzutäuschen? Soweit sie erkennen konnte, war ihm daran gelegen, die Wahrheit herauszufinden und falsche oder vorschnelle Urteile zu vermeiden. Zudem hatte sie nach wie vor den Eindruck, dass er ihr wohlgesinnt war. Unter seiner Fürsprache fühlte sie sich ein wenig sicherer.
Sie hatte ihm dargelegt, welchen Verdacht sie hinsichtlich des Mordes an Heyn hegte, dass dieser nämlich sowohl mit den silbernen Zeichen als auch mit Christophs Verhaftung und dem Diebstahl der Urkunden in Zusammenhang stand. Noch immer war Gort nirgends aufzutreiben; er schien wie vom Erdboden verschluckt. Auch Hartwig hatte man noch nicht ausfindig gemacht. Zwar war er tatsächlich bei seinem Kunden in Burtscheid gewesen, danach aber ebenfalls mit unbekanntem Ziel verschwunden.
«Ich frage mich, was Euch so sicher macht, dass es diese Beweise tatsächlich gibt», knurrte Volmer. «Ich sagte Euch schon einmal, dass der Mann, der sich als Christoph Schreinemaker ausgibt, unserer Ansicht nach ein ausgefuchster Betrüger ist. Ein Fälscher, ein Ketzer. Wollt Ihr ihn tatsächlich davonkommen lassen?»
Der Domherr schwieg einen Moment. Es sah aus, als müsse er sich mühsam beherrschen. «Ich will niemanden davonkommen lassen», antwortete er schließlich gefährlich ruhig. «Aber ich wehre mich entschieden gegen Euer eigenmächtiges Vorgehen. Sollte der Schreinemaker schuldig sein, so wird dies noch früh genug herauskommen. Für diesen Fall wäre ich der Letzte, der sich gegen eine ordentliche Verurteilung sperrt. Hier geht es nicht um einen einfachen, offensichtlichen Fall von Ketzerei. Es stehen Aussagen gegen Aussagen. Wollt Ihr die Worte der ehrenwerten Witwe Marysa Markwardt, die sich für den Schreinemaker einsetzt, anzweifeln?»
«Die Witwe Markwardt ist keine glaubwürdige Zeugin», schoss Volmer zurück. «Ihr wisst so gut wie ich, dass sie mit dem Schreinemaker – oder wer er auch immer sein mag – unter einer Decke steckt.» Er warf Marysa einen abschätzigen Blick zu. «Wörtlich, will ich meinen. Seht sie Euch doch an. Wenn mich nicht alles täuscht, trägt sie bereits sein Balg unter dem Herzen. Ich würde mich nicht
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