Das silberne Zeichen (German Edition)
schicke Milo zu Vater Ignatius. Er muss … o Gott!» Eilig rannte sie hinaus und rang nach Atem.
Sogleich war Geruscha an ihrer Seite und stützte sie. Marysa sah die Magd dankbar an und rieb sich übers Gesicht. «Er hat sich umgebracht!» Sie bemühte sich, den herannahenden hysterischen Anfall zu unterdrücken. «Er hat … Ich kann das nicht glauben. Das kann nicht sein. Nicht Heyn!»
«Es ist eine Todsünde, sich selbst das Leben zu nehmen», sagte Geruscha und biss sich auf die Lippen. «Verzeiht, Herrin. So was sollte ich nicht sagen. Es ist nur … Warum hat er das gemacht?»
«Ich weiß nicht. Ich weiß es nicht. Lieber Himmel, wir brauchen einen Priester!» Da ihr noch immer übel war, versuchte Marysa sich durch tiefes Atmen zu beruhigen. «Milo!» Sie winkte ihren Knecht zu sich heran. «Lauf zu Vater Ignatius. Er muss sofort herkommen. Und zu niemandem sonst ein Wort. Ich will nicht, dass …» Sie stockte, als sie die Stimmen vor dem Hoftor hörte. Offenbar waren einige der Nachbarn durch Imelas Schrei aufmerksam geworden. «O nein. Auch das noch.» Sie wies in Richtung der Laube. «Milo, klettere hinten über die Mauer. Ich will nicht, dass die Nachbarn sehen, wie … Legt Heyn auf dem Stroh ab», wies sie Grimold an. «Verhaltet euch bitte ruhig. Ich will keinen Aufruhr, verstanden?» Sie tastete nach ihrer Haube und vergewisserte sich, dass diese ihr Haar vollständig verdeckte. Entschlossen straffte sie die Schultern und ging auf das Hoftor zu. «Ich rede mit den Nachbarn.»
***
Still saß Marysa neben Heyn, den sie im Stall notdürftig auf Stroh gebettet hatten. Ins Haus durften sie ihn nicht bringen, das Stroh würden sie mitsamt dem Strick, an dem er aufgeknüpft gewesen war, später verbrennen müssen.
Heyns Augen waren inzwischen geschlossen, doch sein Gesicht war zu einer Fratze erstarrt. Zumindest hatten sie es geschafft, seine Zunge zurück in den Mund zu schieben. Marysa war noch immer fassungslos über seinen plötzlichen Tod. Dass er sich selbst das Leben genommen haben sollte, ging einfach nicht in ihren Kopf.
Vater Ignatius war sofort gekommen, als Milo ihm Bescheid gegeben hatte. Eine große Hilfe war der Geistliche nicht gewesen. Mit einem Selbstmörder, so hatte er naserümpfend gesagt, wolle er nichts zu tun haben. Dafür seien weltliche Gerichte zuständig. Zwar hatte er ein paar Gebete gesprochen, aber auch sehr deutlich klargemacht, dass Heyn mit seinem Freitod jegliche Hoffnung auf Einlass in den Himmel verloren hatte. Er würde ohne Zeremonie in ungeweihter Erde verscharrt werden müssen. Vor den Stadttoren gab es einen alten Richtplatz, der sich dafür eignete, so hatte der Priester Marysa noch zugeflüstert. Dann hatte er das Haus wieder verlassen.
Ihr grauste allein bei dem Gedanken daran, doch so, wie die Dinge lagen, würde sie wohl keine andere Wahl haben. Ein Begräbnis in ungeweihter Erde war das geringere Übel. Sobald der Vogtmeier von Heyns Selbstmord Wind bekam – und das würde sicher nicht mehr lange dauern –, würde die weltliche Gerichtsbarkeit zusammentreten und Heyn für das, was er sich angetan hatte, verurteilen. Sein Besitz, so gering er auch sein mochte, würde konfisziert werden. Sein Leichnam würde möglicherweise sogar noch einmal «hingerichtet» oder auch ausgepeitscht werden. Marysa erinnerte sich, dass vor einigen Jahren der Körper einer jungen Frau, die Selbstmord begangen hatte, mit Schimpf und Schande durch Aachens Straßen geschleift worden war, bevor man ihn an einem Galgen vor der Stadt aufhängte und so lange hängen ließ, bis die Krähen fast das gesamte Fleisch von den Knochen gepickt hatten. Die Überreste waren auf jenem alten Richtplatz verscharrt worden.
Marysa schauderte. Sie musste versuchen, das Schlimmste abzuwenden. Doch wie sollte das gehen? Selbstmord war eine Todsünde, da hatte Geruscha ganz recht. Außerdem bestand die Gefahr, dass Heyn zum Wiedergänger würde, aus seinem Grab aufstieg und umging. Das musste mit allen Mitteln verhindert werden.
Die beste Methode war ein sehr tiefes Grab. Heyn musste mit dem Gesicht nach unten in der Grube liegen, von Steinen beschwert. Vielleicht noch mit etwas Weihwasser besprengt werden. Sie musste versuchen, einen oder zwei Totengräber für diese Aufgabe zu gewinnen. Mit einer ordentlichen Bezahlung wäre das vermutlich kein Problem.
Der Selbstmord ihres Gesellen war eine Sache, und sie fürchtete sich bereits vor dem Gerede der Leute und der Schande, die
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