Das Silmarillion
Earendil der Seefahrer saß am Steuer, funkelnd vom Staub der Elbengemmen und den Silmaril an die Stirn gebunden. Weit fuhr er hinaus, bis in die sternlose Leere; meist aber sah man ihn des Morgens oder Abends im Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang schimmern, wenn er von Fahrten jenseits der Welt nach Valinor heimkam.
Elwing begleitete ihn auf diesen Fahrten nicht, denn sie konnte die Kälte und die weglose Leere nicht ertragen; vielmehr liebte sie die Erde und die sanften Winde über den Seen und Hügeln. Daher wurde ein weißer Turm für sie erbaut, nach Norden zu am Ufer des Scheidemeeres, und dort rasteten zuweilen alle Seevögel der Erde. Und es heißt, Elwing habe die Sprachen der Vögel erlernt, hatte sie doch selbst einmal deren Gestalt getragen; und die Vögel lehrten sie die Kunst zu fliegen, und ihre Schwingen waren weiß und silbergrau. Und zuweilen, wenn Earendil heimkehrend sich Arda nahte, flog sie ihm entgegen, wie einst, als sie aus dem Meere gerettet wurde. Dann konnten die Weitsichtigen unter den Elben, die auf der Einsamen Insel wohnten, sie sehen, als weißen Vogel, rötlich in der Abendsonne schimmernd, wie sie freudig am Himmel kreiste, um Vingilot im Hafen zu begrüßen.
Als nun Vingilot zum ersten Mal die Meere des Himmels befuhr, da stieg es unverhofft auf, hell und funkelnd, und die Völker von Mittelerde sahen es von fern und staunten, und sie nahmen es als ein Zeichen der Hoffnung und nannten es Gil-Estel, den Stern der Hohen Hoffnung. Und als man den neuen Stern am Abend sah, da sprach Maedhros zu seinem Bruder Maglor und sagte: »Gewiss ist das ein Silmaril, der nun im Westen leuchtet?«
Und Maglor erwiderte: »Wenn es wahrhaftig der Silmaril ist, den wir ins Meer stürzen sahen und der nun durch die Kraft der Valar wieder aufgeht, dann lass uns froh sein; denn viele sehen nun seinen Glanz, und doch ist er sicher vor allem Unheil.« Da blickten die Elben auf, und ihre Verzweiflung hatte ein Ende; Morgoth aber war in Sorgen.
Doch heißt es, den Angriff, der aus Westen über ihn hereinbrach, habe Morgoth nicht erwartet; denn so groß war sein Stolz geworden, dass er glaubte, keiner werde ihn je wieder offen mit Krieg überziehen. Auch dachte er, die Noldor habe er auf ewig mit den Herren des Westens entzweit, und die Valar, zufrieden in ihrem glückseligen Land, würden sich um sein Königreich in der Welt draußen nicht kümmern. Denn immer bleiben dem Mitleidlosen die Werke des Mitleids fremd und unabsehbar. Das Heer der Valar aber rüstete sich zur Schlacht; und unter ihren weißen Bannern zogen die Vanyar einher, Ingwes Volk, und auch diejenigen der Noldor, die Valinor nie verlassen hatten, geführt von Finarfin, Finwes Sohn. Von den Teleri waren nicht viele bereit, in den Krieg zu ziehen, denn sie erinnerten sich des Mordens am Schwanenhafen und des Raubs ihrer Schiffe; doch hörten sie Elwing an, welche die Tochter Dior Eluchíls war und ihrem eigenen Geschlecht entstammte, und sie sandten so viele Seeleute, wie nötig waren, um die Schiffe zu steuern, die das Heer von Valinor übers Meer nach Osten trugen. Diese aber blieben an Bord ihrer Schiffe, und keiner von ihnen setzte den Fuß auf die Hinnenlande.
Wenig wird in allen Erzählungen davon gesagt, wie das Heer der Valar in den Norden von Mittelerde zog; denn keiner von den Elben war dabei, die in den Hinnenlanden gelebt und gelitten hatten und von denen die Geschichten jener Zeiten aufgeschrieben wurden, soweit sie noch bekannt sind; sie erfuhren von all dem erst viel später von ihren Brüdern in Aman. Endlich aber zog die Streitmacht von Valinor aus Westen heran, und der Kampfruf von Eonwes Trompeten erfüllte den Himmel, und Beleriand glühte im Glanz ihrer Rüstungen, denn die Valar erschienen in Gestalten von Jugend, Schönheit und Schrecken, und die Berge bebten unter ihren Schritten.
Das Treffen der Heere des Westens und des Nordens wird die Große Schlacht oder der Krieg des Zorns genannt. Morgoths ganze Streitmacht wurde ins Feld geführt, und sie war über alle Zählung groß geworden, so dass in Anfauglith nicht genug Platz für sie war; und der ganze Norden stand in Kriegesflammen.
Doch es half ihm nichts. Seine Balrogs wurden vernichtet, bis auf einige wenige, die entflohen und sich in unerreichbaren Höhlen an den Wurzeln der Erde verbargen; und die ungezählten Legionen der Orks vergingen wie Stroh im großen Brande oder wurden davongewirbelt wie trocknes Laub vor einem feurigen Wind. Nicht viele blieben
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