Das Silmarillion
jenseits allen Hoffens; und er sagte: »Wer kann wissen,welch furchtbares Schicksal wir erleiden, wenn wir uns den Mächten in ihrem eigenen Lande widersetzen oder jemals versuchen, den Krieg in ihr heiliges Reich zu tragen?«
Maglor aber zögerte noch immer und sagte: »Wenn Manwe und Varda selbst einem Eid die Erfüllung verweigern, bei dem wir sie zu Zeugen gerufen, ist der Eid dann nicht entkräftet?«
Und Maedhros antwortete: »Doch wie sollen unsere Stimmen zu Ilúvatar dringen, jenseits der Kreise der Welt? Und bei Ilúvatar haben wir in unsrem Wahne geschworen und das Ewige Dunkel auf uns herabgerufen, wenn wir nicht Wort hielten. Wer soll uns lossprechen?«
»Wenn denn keiner uns lossprechen kann«, sagte Maglor, »dann freilich wird das Ewige Dunkel unser Los sein, ob wir den Eid halten oder ihn brechen; doch weniger Unheil tun wir, wenn wir ihn brechen.«
Zuletzt aber gab er Maedhros’ Willen nach, und sie hielten Rat, wie sie sich der Silmaril bemächtigen könnten. Und sie verkleideten sich und kamen bei Nacht in Eonwes Lager und schlichen sich zu dem Orte, wo die Silmaril bewacht wurden; dort erschlugen sie die Wachen und nahmen die Steine. Da stand das ganze Lager gegen sie auf, und sie schickten sich an zu sterben, kämpfend bis zum Letzten. Eonwe aber wollte nicht zulassen, dass Feanors Söhne erschlagen würden; und so gingen sie unbehindert fort und suchten das Weite. Jeder nahm einen Silmaril, denn sie sagten: »Da wir einen verloren haben und nur noch zwei bleiben und von uns Brüdern wir zwei allein noch leben, so ist klar, das Schicksal will, dass wir unsres Vaters Erbe teilen.«
Doch der Stein versengte Maedhros’ Hand in unerträglichem Schmerz; und er erkannte, dass es so war, wie Eonwegesagt hatte: dass sein Recht darauf nichtig geworden war und der Eid nicht mehr galt. Und in Schmerz und Verzweiflung stürzte er sich in einen klaffenden Schlund voller Feuer, und so endete Maedhros; und der Silmaril, den er trug, wurde in den Busen der Erde genommen.
Und auch von Maglor wird erzählt, dass er den Schmerz, mit dem der Silmaril ihn peinigte, nicht ertragen konnte; und zuletzt warf er den Stein ins Meer, und hernach wanderte er immer an den Küsten entlang, am Wasser singend vor Schmerz und Trauer. Denn Maglor war ein Großer unter den Sängern von einst, der gleich nach Daeron von Doriath genannt wird; doch kam er nie wieder unter das Volk der Elben. Und so geschah es, dass die Silmaril auf ihrem langen Weg heimgefunden hatten: einer in die Lüfte des Himmels, einer in die Feuer im Herzen der Welt und einer in die tiefen Wasser.
Viele Schiffe wurden in jenen Tagen an den Ufern des Westmeeres gebaut; und manch eine Flotte der Eldar setzte Segel gen Westen und kehrte nie mehr zurück in die Lande von Krieg und Kummer. Und die Vanyar unter ihren weißen Bannern kehrten heim und wurden im Triumph nach Valinor geführt; doch gemindert war ihre Siegesfreude, denn sie kamen ohne die Silmaril aus Morgoths Krone, und sie wussten, dass diese Steine nicht mehr gefunden und zusammengefügt werden können, bis dass die Welt zerbricht und neu erschaffen wird.
Und als sie in den Westen kamen, da ließen die Elben von Beleriand sich auf Tol Eressea, der Einsamen Insel, nieder, von wo man nach Westen wie nach Osten blickt; und von dort konnten sie auch nach Valinor kommen. Manwes Liebe wurde ihnen von neuem gewährt und die Vergebungder Valar; und die Teleri vergaßen ihren alten Groll, und der Fluch kam zur Ruhe.
Doch nicht alle Eldalië waren gewillt, die Hinnenlande zu verlassen, wo sie lange gelebt und gelitten hatten; und manche verweilten noch über viele Alter hin in Mittelerde. Unter diesen waren Círdan der Schiffbauer und Celeborn aus Doriath mit seinem Weibe Galadriel, die allein noch blieb von all jenen, welche die Noldor nach Beleriand in die Verbannung geführt hatten. In Mittelerde lebte auch Gil-galad, der Hohe König, und bei ihm war Elrond, der Halbelb, der sich dafür entschied, wie ihm gestattet worden, unter die Eldar gezählt zu werden; Elros, sein Bruder, aber wählte das Leben unter den Menschen. Und allein durch dieses Brüderpaar ist das Blut der Erstgeborenen unter die Menschen gekommen und eine Verwandtschaft mit den göttlichen Geistern, die älter sind als Arda; denn sie waren die Söhne Elwings, der Tochter Diors, welcher der Sohn Lúthiens war, des Kindes von Thingol und Melian; und Earendil, ihr Vater, war der Sohn von Idril Celebrindal, der Tochter Turgons von
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