Das Silmarillion
Morgoth und Ungoliant, so kam jetzt Earendil zur Zeit eines Festes, und fast alles Elbenvolk war nach Valimar gegangen oder hatte sich in Manwes Hallen auf dem Taniquetil versammelt, und nur wenige hielten auf den Mauern von Tirion Wache.
Doch einige sahen ihn von fern und sahen das große Licht, das er trug, und eilends gingen sie nach Valimar. Earendil aber stieg den grünen Hügel von Túna hinauf und fand ihn kahl, und er trat in die Straßen von Tirion, und sie waren leer; und schwer war ihm ums Herz, denn er fürchtete, auch über das Segensreich sei Unheil gekommen. Er ging in den verlassenen Straßen von Tirion umher, und der Staub auf seinen Kleidern und Schuhen war Staub von Diamanten, und er schien und funkelte, als er die langen weißen Treppen erklomm. Und er rief laut in vielen Sprachen der Elben wie der Menschen, doch niemand war da, der ihm Antwort gab. Daher wandte er sich zuletzt zum Meere zurück, doch als er eben den Weg zum Ufer einschlagen wollte, da stand einer auf dem Hügel und rief ihn mit lauter Stimme an:
»Gegrüßt seist du, Earendil, der Seefahrer Ruhmreichster, Erwarteter, der unversehens da ist, Ersehnter jenseits allen Hoffens! Gegrüßt seist du, Earendil, der du das Licht trägst,das älter ist als Sonne und Mond! Licht der Erdenkinder, Stern in der Dunkelheit, Juwel in der Abendsonne, Strahlenkranz am Morgen!«
Der ihn so begrüßte, war Eonwe, Manwes Herold, und er kam aus Valimar und rief Earendil auf, vor den Mächten von Arda zu erscheinen. Und Earendil betrat Valinor und die Hallen von Valimar, und nie wieder setzte er den Fuß auf die Lande der Menschen. Dann hielten die Valar zusammen Rat und riefen auch Ulmo aus den Tiefen des Meeres herbei; und Earendil stand vor ihnen und entledigte sich des Auftrags der Zwei Geschlechter. Um Vergebung bat er für die Noldor und um Mitleid mit ihrem großen Elend, um Erbarmen für Menschen und Elben und Hilfe in ihrer Not. Und seine Bitte wurde erhört.
Unter den Elben wird erzählt, nachdem Earendil gegangen war, um Elwing, sein Weib, zu suchen, habe Mandos über sein Schicksal gesprochen, und er sagte: »Soll der sterbliche Mensch lebend die Lande der Unsterblichen betreten und weiterleben?« Doch Ulmo sagte: »Dazu ward er in die Welt geboren. Und sage mir: Ist er Earendil, Tuors Sohn, vom Stamme Hadors, oder der Sohn von Idril, Turgons Tochter aus dem Elbenhause Finwes?« Und Mandos antwortete: »Auch die Noldor, die willentlich in die Verbannung gegangen, dürfen nicht hierher zurückkehren.«
Doch als alles gesagt war, fällte Manwe seinen Spruch, und er sagte: »In dieser Sache ist mir Urteilsmacht verliehen. Was Earendil den Zwei Geschlechtern zuliebe gewagt, soll er nicht büßen, noch soll es Elwing, sein Weib, die sich aus Liebe zu ihm in Gefahr begeben; doch sollen sie nie wieder unter die Elben oder Menschen in den Außenlanden gehen. Und dies ist mein Spruch, sie betreffend: Earendil und Elwing und ihren Söhnen sei es gestattet, frei zu wählen, mit welchem der Geschlechter ihr Schicksal vereint sein und unter welchem Geschlecht über sie geurteilt werden soll.«
Als Earendil lange fortblieb, wurde es Elwing bang und einsam; und am Ufer des Meeres entlanggehend, kam sie nach Alqualonde, wo die Flotten der Teleri lagen. Dort nahmen die Teleri sie freundlich auf, und als sie ihre Erzählungen von Doriath und Gondolin und den Leiden Beleriands hörten, waren sie voll Mitleids und Staunens; und dort am Schwanenhafen fand sie Earendil, als er zurückkehrte. Doch nicht lange, so wurden sie nach Valimar gerufen, und dort erfuhren sie den Spruch des Ältesten Königs.
Da sagte Earendil zu Elwing: »Wähle du, denn ich bin die Welt nun leid.« Und Elwing wählte, dass unter den Erstgeborenen Kindern Ilúvatars über sie geurteilt werde, im Gedenken an Lúthien; und Elwing zuliebe traf Earendil die gleiche Wahl, obwohl er von Herzen eher am Menschengeschlecht und am Volk seines Vaters hing. Auf Geheiß der Valar ging dann Eonwe ans Ufer von Aman, wo Earendils Gefährten noch der Nachricht harrten; und er nahm ein Boot, und die drei Seeleute stiegen hinein, und die Valar trieben sie mit einem starken Winde nach Osten. Vingilot aber nahmen die Valar und weihten es; und durch ganz Valinor wurde es bis zum äußersten Rande der Welt getragen, und dort fuhr es durch die Tore der Nacht und wurde in die Ozeane des Himmels erhoben.
Schlank und herrlich war nun das Schiff, erfüllt von einem hell und rein flammenden Lichte; und
Weitere Kostenlose Bücher