Das Silmarillion
am Calacirya: Diesen aber schlossen die Valar nicht, den Eldar zuliebe, die ihnen treu geblieben waren; und in der Stadt Tirion auf dem grünen Hügel regierte immer noch Finarfin die Reste der Noldor in der tiefen Schlucht zwischen den Bergen. Denn alle, die elbischen Geschlechtes sind, sogar die Vanyar und Ingwe, ihr König, müssen zuweilen die Luft von draußen atmen und den Wind spüren, der von ihren Geburtslanden über das Meer weht; und auch die Teleri wollten die Valar nicht gänzlich von ihren Stammesbrüdern trennen. Doch im Calarcirya erbauten sie starke Türme und stellten viele Wachen auf, und wo die Schlucht in die Ebenen von Valmar mündete, lagerte ein Heer, so dass weder Vogel noch Tier oder Elb oder Mensch noch irgendein andres Geschöpf, das in Mittelerde lebte, diesen Weg passieren konnte.
Und in jener Zeit, die in den Liedern Nurtale Valinóreva heißt, die Verhüllung von Valinor, wurden auch die Verwunschenen Inseln ins Meer gesetzt, und alle Gewässer um sie her waren voller Schatten und Zauberwerk. Und diese Inseln lagen wie ein Netz von Norden nach Süden im Schattigen Meer, bevor einer, der nach Westen segelt, Tol Eressea, die Einsame Insel, erreicht. Kaum vermochte ein Schiff zwischen ihnen hindurchzufinden, denn gefährlich ächzten die Wellen immer auf den dunklen, im Nebel verborgenen Felsen. Und im Dämmerlicht kam eine tiefe Müdigkeit über die Seeleute und ein Abscheu vor dem Meer; und alle, die je den Fuß auf die Inseln setzten, blieben dort gefangen und schliefen bis zur Wandlung der Welt. So geschah es, wieMandos den Noldor in Araman vorausgesagt, dass das Segensreich den Noldor verschlossen wurde; und von den vielen Boten, die in späteren Tagen in den Westen fuhren, kam keiner je nach Valinor – bis auf einen, den größten Seefahrer der Lieder.
KAPITEL XII
VON DEN MENSCHEN
N un saßen die Valar in Frieden hinter ihren Bergen, und Mittelerde, nachdem es nun Licht hatte, kümmerte sie lange nicht mehr; und nur noch die Kühnheit der Noldor machte Morgoth die Herrschaft streitig. Am meisten behielt Ulmo die Verbannten im Sinn, der aus allen Wassern die Botschaften der Erde empfing.
Von dieser Zeit an wurden die Jahre nach der Sonne gezählt. Hastiger und kürzer waren sie als die langen Jahre der Bäume von Valinor. In jener Zeit wurde die Luft von Mittelerde schwer vom Atem des Wachsens und Sterbens, und das Wechseln und Altern aller Dinge beschleunigte sich über die Maßen. Es wimmelte von Leben auf der Erde und in den Gewässern im zweiten Frühling von Arda, und die Eldar mehrten sich, und unter der neuen Sonne wurde Beleriand grün und hell.
Beim ersten Aufgang der Sonne erwachten die Jüngeren Kinder Ilúvatars in dem Lande Hildórien, in den östlichen Gebieten von Mittelerde; das erste Mal aber ging die Sonne im Westen auf, und als sich die Augen der Menschen öffneten, waren sie ihr zugekehrt, und ihre Füße, als sie über die Erde wanderten, gingen meist in jene Richtung. Die Ataniwurden sie von den Eldar genannt, das Zweite Volk, doch nannten sie sie auch die Hildor, die Nachkömmlinge, und gaben ihnen noch viele andere Namen: Apanónar, die Nachzügler, Engwar, die Kränklichen, oder Fírimar, die Sterblichen; und sie nannten sie auch die Usurpatoren, die Fremden, die Unbegreiflichen, die Selbst-Verfluchten, die Tollpatsche, die Nachtfürchtigen und die Kinder der Sonne. Von den Menschen wird in diesen Erzählungen wenig berichtet, denn sie handeln von den Ältesten Tagen vor der Ausbreitung der Sterblichen und dem Verschwinden der Elben; nur von jenen Vätern der Menschen, den Atanatári, ist die Rede, die in den ersten Jahren der Sonne und des Mondes in den Norden der Welt wanderten. Nach Hildórien kam kein Vala, um die Menschen zu führen oder sie nach Valinor zu rufen; und die Menschen fürchteten eher die Valar, als dass sie sie liebten, und sie verstanden nicht die Absichten der Mächte, sondern haderten mit ihnen und lagen mit aller Welt in Streit. Ulmo indessen dachte auch an sie, gemäß Manwes Ratschluss und Willen; und oft trugen ihnen Bach und Fluss seine Botschaften zu. Doch auf derlei Dinge verstehen sie sich nicht, und besonders nicht in jenen Tagen, bevor sie sich unter die Elben gemengt hatten. Daher liebten sie die Wasser, und ihre Herzen wurden bewegt, aber die Botschaften verstanden sie nicht. Doch heißt es, sie seien binnen kurzem an vielen Orten den Dunkelelben begegnet, die sie freundlich aufnahmen; und so wurden die Menschen
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