Das Silmarillion
von Mittelerde, und mit der Voraussicht des Todes wusste er, dasskeine Macht der Noldor sie je brechen würde; doch verfluchte er dreimal den Namen Morgoths, und seinen Söhnen erlegte er auf, ihren Eid zu halten und ihren Vater zu rächen. Dann starb er; doch gab man ihm weder Grab noch Stein, denn so heiß brannte sein Geist, als er aus ihm wich, dass sein Leib zu Asche verfiel und wie Rauch davongeweht wurde; und nie wieder ist seinesgleichen in Arda erschienen, noch hat sein Geist Mandos’ Hallen verlassen. So endete der mächtigste der Noldor, aus dessen Taten ihr höchster Ruhm und tiefstes Leid erwuchs.
In Mithrim nun lebten Grauelben, Volk aus Beleriand, das über das Gebirge nach Norden gezogen war. Die Noldor begegneten ihnen freudig, als Stammesbrüdern, von denen sie lange getrennt gewesen waren; mit ihnen zu sprechen freilich war zuerst nicht leicht, denn während der langen Trennung waren die Sprachen der Calaquendi in Valinor und der Moriquendi in Beleriand einander unähnlich geworden. Durch die Elben von Mithrim erfuhren die Noldor von der Macht Elu Thingols, des Königs in Doriath, und von dem Banngürtel, der sein Reich umhegte; und Nachricht von ihren großen Taten im Norden gelangte nach Menegroth im Süden und in die Häfen von Brithombar und Eglarest. Alle Elben Beleriands waren voller Verwunderung und Hoffnung bei der Ankunft ihrer mächtigen Vettern, die so unversehens in der Stunde der Not aus dem Westen zurückgekehrt waren; und zunächst glaubte man sogar, sie kämen als Abgesandte der Valar, um Beleriand zu retten.
Noch in Feanors Todesstunde aber traf bei seinen Söhnen eine Botschaft Morgoths ein, worin die Niederlage anerkannt und Verhandlungen angeboten wurden; sogar von der Übergabe eines der Silmaril war die Rede. Maedhros derLange, Feanors ältester Sohn, bewog die Brüder, zum Schein darauf einzugehen und Morgoths Gesandten an dem verabredeten Ort zu begegnen; doch trauten die Noldor Morgoth so wenig wie dieser ihnen. Beide Gesandtschaften kamen daher mit stärkerem Gefolge als vereinbart, doch Morgoth hatte am meisten gesandt, und unter den Seinen waren Balrogs. Maedhros fiel in einen Hinterhalt, und all sein Gefolge wurde erschlagen; er selbst aber wurde auf Morgoths Geheiß lebendig gefangen genommen und nach Angband gebracht.
Nun zogen Maedhros’ Brüder sich zurück und legten ein großes befestigtes Lager in Hithlum an; Morgoth aber hielt Maedhros als Geisel fest und ließ verlauten, nicht eher werde er ihn freigeben, als bis die Noldor den Krieg beendeten und in den Westen zurückkehrten oder aber weit fort von Beleriand in den Süden der Welt zögen. Feanors Söhne aber wussten, dass Morgoth sie betrügen und Maedhros keinesfalls freigeben würde, was immer sie taten; auch waren sie durch den Eid gebunden, und kein Grund erlaubte, dass sie vom Kriege gegen ihren Feind abließen. Morgoth nahm daher Maedhros und hängte ihn an einen Felsvorsprung von Thangorodrim, mit dem rechten Handgelenk in einer stählernen Schlinge, die an den Felsen geschmiedet war.
Nun kam Meldung von dem Zuge Fingolfins und jener, die ihm folgten und mit ihm über das Malm-Eis gegangen waren, in das Lager in Hithlum; und dann lag alle Welt in Erstaunen über den Aufgang des Mondes. Als aber Fingolfins Schar in Mithrim einzog, da ging flammend im Westen die Sonne auf, und Fingolfin entrollte seine blausilbernen Banner und ließ die Hörner blasen; und zu Füßen seiner Schar wuchsen Blumen auf, und die Zeitalter der Sterne waren zu Ende. Morgoths Diener flohen beim Aufgang des großenLichtes nach Angband hinein, und Fingolfin kam ohne Widerstand durch die Befestigungen von Dor Daedeloth, während seine Feinde sich unter die Erde verkrochen. Dann pochten die Elben an die Tore von Angband, und der Kampfruf ihrer Trompeten ließ die Türme von Thangorodrim erzittern; und Maedhros hörte sie in seiner Qual und schrie laut, doch seine Stimme ging unter im Echo von den Felsen.
Fingolfin aber, der anderen Gemütes war als Feanor und sich vor Morgoths Tücken in Acht nahm, zog aus Dor Daedeloth ab und wandte sich zurück nach Mithrim, denn er hatte Meldung, dort werde er Feanors Söhne finden; außerdem wollte er das Schattengebirge als Schild zwischen sich und den Feinden wissen, solange die Seinen ausruhten und sich stärkten, denn er hatte gesehen, wie stark Angband war, und glaubte nicht, dass es mit Trompetenschall allein zu nehmen wäre. Als er schließlich nach Hithlum kam, schlug er daher sein
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