Das Silmarillion
in ihrer Kindheit zu Gefährten und Schülern dieses alten Wandervolks von elbischem Geschlecht, das sich nie auf den Weg nach Valinor gemacht hatte und für das die Valar nur ein Gerücht und ein fremder Name waren.
Morgoth war damals noch nicht lange wieder in Mittelerde, und seine Macht reichte nicht weit, und überdiesgebot der plötzliche Aufgang des großen Lichtes ihm Einhalt. Wenig Gefahr war in den Ländern und Bergen; und neue Dinge, vor vielen Altern im Geist Yavannas entsprungen und als Samen in der Dunkelheit ausgesät, begannen nun endlich zu knospen und zu blühen. Nach Westen, Norden und Süden wandernd, breiteten die Menschenkinder sich aus, und ihre Freude war die Freude am Morgen, ehe der Tau trocken und wenn jedes Blatt noch grün ist.
Doch kurz ist der Morgen, und allzu oft nur leugnet der Tag, was er versprochen; und es nahte nun die Zeit der großen Kriege zwischen den Mächten des Nordens, als Noldor und Sindar und Menschen gegen die Heere von Morgoth Bauglir kämpften und zugrunde gingen. Zu diesem Ende hin wirkten stets die schlauen Lügen Morgoths, die er vor Zeiten gesät hatte und immer wieder von neuem unter seinen Feinden streute, der Fluch, der von dem Gemetzel in Alqualonde herrührte, und Feanors Eid. Nur ein Teil von den Ereignissen jener Tage wird hier erzählt, und am meisten ist von den Noldor die Rede, von den Silmaril und von den Sterblichen, die in ihre Geschicke verstrickt wurden. In jenen Tagen waren Elben und Menschen an Wuchs und Leibeskräften gleich, doch waren die Elben klüger, geschickter und schöner; und jene, die in Valinor gelebt und mit eigenen Augen die Mächte gesehen hatten, übertrafen die Dunkelelben in diesen Dingen ebenso, wie diese ihrerseits die Völker von sterblicher Art übertrafen. Nur im Reich von Doriath, dessen Königin Melian war, aus dem Geschlecht der Valar, kamen die Sindar den Calaquendi des Segensreiches nahezu gleich.
Unsterblich waren die Elben, und ihr Wissen wuchs von Alter zu Alter, und keine Krankheit oder Seuche brachte ihnen den Tod. Ihre Leiber waren jedoch von irdischemStoff und konnten vernichtet werden, und in jenen Tagen waren sie den Menschen von Gestalt ähnlicher, denn das Feuer ihres Geistes hatte noch nicht so lange in ihnen gebrannt, das sie im Lauf der Zeiten von innen verzehrt. Die Menschen aber waren gebrechlicher, leichter niedergeschlagen von Waffen oder vom Unglück und weniger leicht geheilt; sie unterlagen Krankheiten und vielerlei Übeln, wurden alt und starben. Was mit ihrem Geist nach dem Tode geschehen mag, wissen die Elben nicht. Manche sagen, auch sie begeben sich in Mandos’ Hallen, warten dort aber nicht am gleichen Ort wie die Elben, und wohin sie gehen nach der Zeit der Sammlung in jenen stillen Hallen am Außenmeer, das weiß von allen unter Ilúvatar bis auf Manwe nur Mandos allein. Keiner ist je aus den Häusern der Toten zurückgekehrt bis auf Beren, Barahirs Sohn, dessen Hand einen Silmaril berührt hatte; er aber sprach später nie mehr mit sterblichen Menschen. Nicht in den Händen der Valar liegt vielleicht das Schicksal der Menschen nach dem Tode, und nicht alles war in der Musik der Ainur schon geweissagt.
In späterer Zeit, als nach Morgoths Triumph Elben und Menschen einander fremd wurden, wie er es so sehnlich gewünscht, schwanden und verblassten jene aus dem Elbengeschlecht, die noch in Mittelerde lebten; und vom Sonnenlicht ergriffen die Menschen Besitz. Da wanderten die Quendi durch die einsamen Gegenden der großen Lande und über die Inseln, und sie hielten sich ans Mond- und Sternenlicht, an Wälder und Grotten, wie zu Schatten und Erinnerung werdend, bis auf manche, die nach Westen Segel setzten und aus Mittelerde verschwanden. In der Morgenröte der Jahre aber waren Elben und Menschen Bundesgenossen und glaubten sich verwandt, und unter den Menschen gab es manche, welche die Wissenschaft der Eldarerfuhren und zu großen und kühnen Kriegshauptleuten der Noldor wurden. Und vollen Anteil an Glanz und Schönheit der Elben und an ihrem Schicksal hatten die Nachkommen von Elben und Sterblichen, Earendil und Elwing und Elrond, ihr Sohn.
KAPITEL XIII
VON DER RÜCKKEHR DER NOLDOR
E rzählt wurde, wie Feanor und seine Söhne als Erste der Verbannten nach Mittelerde kamen und in der Öde von Lammoth, dem Großen Echo, an der Mündung des Fjords von Drengist landeten. Und als die Noldor den Strand betraten, da drangen ihre Rufe zwischen die Hügel hinauf und wurden vervielfacht, so
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