Das Silmarillion
der Erde begegneten. Tilion aber war saumselig und hielt weder die Geschwindigkeit noch die vorgezeichnete Bahn ein; angezogen von ihrem Glanze, versuchte er, sich Arien zu nähern, obgleich Anars Flamme ihn versengte, und die Insel des Mondes wurde verdunkelt.
Mit Rücksicht auf Tilions Säumigkeit und mehr noch auf das Bitten von Lórien und Este, die klagten, Schlaf und Ruhe seien nun von der Erde verbannt und die Sterne verborgen, änderte daher Varda ihren Plan und sah wieder eine Zeit vor, zu der die Welt Schatten und Halblicht haben sollte. Anar blieb nun eine Weile in Valinor am kühlen Busen des Außenmeeres liegen, und der Abend, die Zeit, wo die Sonne untergeht und ruht, war in Aman die Stunde des hellsten Lichts und der höchsten Freude. Bald daraufaber wurde die Sonne von Ulmos Dienern herabgezogen und in aller Eile ungesehen unter der Erde nach Osten gebracht, wo sie von neuem am Himmel aufstieg, damit die Nacht nicht allzu lange dauerte und kein Unheil sich unter dem Monde hervorwagte. Durch Anar aber wurden die Wasser des Außenmeeres erhitzt, und sie glühten in bunten Feuern, und auch wenn Arien fort war, hatte Valinor noch für eine Weile Licht. Wenn sie aber unter die Erde sank und nach Osten zog, verblasste das Glühen, und Valinor wurde dunkel, und dann beklagten die Valar über alles den Tod von Laurelin. In der Morgendämmerung lasteten die Schatten, welche die Berge der Abwehr warfen, schwer auf dem Segensreich.
Dem Monde gebot Varda, in der gleichen Weise dahinzuziehen, unter der Erde nach Osten, um dort aufzugehen, doch erst nachdem die Sonne vom Himmel herniedergestiegen sei. Tilion aber ging bald schneller, bald langsamer, wie es noch immer seine Art ist, und nach wie vor zog ihn Arien an, wie sie ihn immer anziehen wird, so dass man oft beide zusammen über der Erde sehen kann; oder zu anderen Zeiten kommt er ihr so nahe, dass sein Schatten ihre Strahlen verbirgt, und dunkel wird es mitten am Tag.
Nach dem Kommen und Gehen Anars zählten daher die Valar fortan die Tage bis zur Wandlung der Welt. Denn Tilion verweilte selten in Valinor, sondern zog meist rasch über das Westland hinweg, über Avathar, Araman oder Valinor, und tauchte dann in die Kluft jenseits des Außenmeeres, von wo er allein seines Weges ging zwischen den Grotten und Höhlen an den Wurzeln von Arda. Dort wanderte er oft lange umher und kam spät erst wieder.
Immer noch war daher, auch nach der Langen Nacht, das Licht von Valinor größer und heller als das Licht vonMittelerde, denn die Sonne machte dort Rast, und die Himmelslichter kamen in jener Gegend der Erde näher. Doch weder Sonne noch Mond können das Licht zurückrufen, das einstmals war, das von den Bäumen fiel, ehe Ungoliants Gift sie berührte. Jenes Licht lebt nun allein noch in den Silmaril.
Morgoth aber hasste die neuen Lichter und war eine Zeitlang verwirrt durch diesen unerwarteten Streich der Valar. Dann griff er Tilion an, indem er Schattengeister gegen ihn aussandte, und es gab einen Kampf in Ilmen, unter den Bahnen der Sterne; doch Tilion blieb Sieger. Und vor Arien fürchtete sich Morgoth zutiefst, wagte er doch nicht, ihr zu nahe zu kommen, denn dazu reichte seine Kraft nicht mehr. Indem er an Tücke wuchs und das Unheil, das er ersann, seinen üblen Kreaturen eingab und sie in seine Lügen verstrickte, ging seine Kraft in diese über und verstreute sich, während er selbst immer erdgebundener wurde und nicht mehr geneigt war, aus seinen dunklen Burgen hervorzukommen. Mit Schatten verbarg er sich selbst und seine Diener vor Arien, deren Augen sie nicht lange standhalten konnten; und die Lande um seine Burg lagen in Rauch und große Wolken gehüllt.
Als die Valar aber sahen, wie Tilion angegriffen wurde, kamen ihnen Zweifel und Besorgnis, was Morgoths List und Tücke noch gegen sie aushecken mochte. Obgleich sie nicht gewillt waren, ihn in Mittelerde zu bekriegen, erinnerten sie sich doch der Zerstörung von Almaren; und sie beschlossen, dass dies sich in Valinor nicht wiederholen dürfe. Daher gaben sie ihrem Lande zu jener Zeit neue Befestigungen, und sie hoben die Berghänge der Pelóri im Osten, Norden und Süden zu steilen und furchtbaren Höhen an. Die Außenseiten waren dunkel und glatt, ohne Spalt oder Vorsprung, und sie stürzten tiefe Klüfte hinab, deren Boden hart war wie Glas, und wuchsen zu Türmen mit Kronen von weißem Eis empor. Auf diesen stand eine niemals schlafende Wache, und kein Pass führte hindurch bis auf den einen
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