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Das singende Kind

Das singende Kind

Titel: Das singende Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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vierhundert Mark. Die Hälfte der Scheine, die sie auf dem Klavierdeckel ausgezählt hatten. Trudi war großzügig entlohnt worden von der Weil. Damit sie bei der Stange blieb. Das Konzept hatte sich als erfolgreich erwiesen. Und dann das Kümmerchen, an dem Trudi schluckte.
    Das Geld legte sie Georg auf den Tisch. Drei Hunderter, die er mit steifen Fingern zurückschob. Als sähe er den Dreck, der daran klebte. Trudi sah, daß einer der Scheine eingerissen war, und hätte ihn gern gegen den vierten getauscht.
    »Wo hast du die her?« Georg dachte an die drei Scheine, die er Jos gegeben hatte. Einer war eingerissen gewesen.
    »Ich habe Schmuck verkauft«, sagte Trudi und griff an die Straßkette, die an ihrem Hals hing.
    »Die Erkennungsmarke? Deinen Trauring?«
    »Den Granatschmuck«, sagte Trudi.
    Georg stand auf. Hatte sie vergessen, daß der lackierte Karton noch immer auf dem Nachttisch stand? Trudi, das Opfer der eigenen Nachlässigkeit. Georg zog sie hinter sich her.
    »Er ist leer.« Trudi wußte nicht, warum sie jetzt noch log. Georg schmiß ihr die Kette vor die Füße, und es löste sich ein Stein. Der zweite in hundert Jahren.
    »Gib Jos das Geld zurück«, sagte Georg. »Labt euch gemeinsam an deinem Hurenlohn.«
    »Jos.« Trudi schluchzte es. Jos. Jos. Jos. Sie konnte ihn nicht länger hören, diesen Namen.
    »Geh zu ihm«, sagte Georg, »geh endlich zu ihm.«
    Das Kümmerchen. Trudi hatte gedacht, am letzten Fetzen Anstand schwer zu schlucken. Doch es war nur das Wissen, daß nichts mehr gutgemacht werden konnte.
    Georg schlief in dieser Nacht auf dem Sofa, das im Arbeitszimmer stand. Trudi lag allein und holte sich die Qual der letzten Tage vor Augen, um nicht aufzuspringen und zu ihm zu laufen. Ihn auf Knien liegend anzuflehen, sie nicht dem Alleinsein auszuliefern.
    Der Flur war eine tiefe, dunkle Schlucht, die zu durchqueren sich keiner traute, und die Lockrufe, die Trudi schickte, das Schluchzen und das Lachen, versickerten in den schwarzen Wänden und schienen nicht zu Georg durchzudringen.
    Trudi fiel schließlich in einen Traum und träumte, auf ein totenstilles Haus zuzugehen, das hell erleuchtet war. Und alle, die im Haus gelebt hatten, waren umgekommen. Das Kind. Der Mann. Die alten Leute. Nur die Frau hatte sich retten können.
    Georg stand gegen fünf Uhr auf und lauschte in den Flur, und als er nichts hörte, setzte er sich an den Schreibtisch und fing an, das letzte Kapitel vom Singenden Kind zu schreiben.
    Das Geld lag noch einen Tag auf Georgs Tisch. Dann nahm er die Scheine und steckte sie zu dem Brief, den ihm der Hausverwalter geschickt hatte. Er holte Trudis Sonntagsgeld aus dem Umschlag und tat es zu den einhundertzwanzig Mark von der Omega. Ihm fehlten noch dreihundertdreißig Mark, um die Miete zu bezahlen.
    Er kaufte eine Zeitung und ging die Kleinanzeigen durch, in denen Bargeld angeboten wurde, und dachte an die Anzüge seines Vaters, die seit acht Jahren nicht getragen worden waren. Georg war soweit, sie zu holen, und er hoffte, den Hohn seiner Mutter auszuhalten und ihm dann für immer zu entkommen.
    Grete Fortgang höhnte unter Zeitdruck. Drängte ihn dann hinaus. Schämte sich seiner und fürchtete, daß die Freundinnen zu früh zum Kaffee kamen und Fragen stellten. Georg stand schon im Treppenhaus, die Anzüge über dem Arm, als sie ihn am Ärmel zog und flüsternd Anweisung gab, was er zu sagen hatte, falls sie ihm begegneten.
    Georg trug alles zum Trödler und kriegte knapp das Geld, das er brauchte, und dankte es dem Vater, der auf eine Karriere in der Verwaltung gehofft und in Kleidung investiert hatte.
    Das Gefühl, davongekommen zu sein, hielt sich bis zu dem Moment, in dem er das Geld einzahlte. Georg zählte die Scheine hin und gab den, der eingerissen war, als letzten dazu, und da kam ihm auf einmal der Gedanke, alles verloren zu haben.

Cilly Weil war in Hochstimmung. Sie hämmerte auf dem Klavier und versuchte, Trudi ein Lied beizubringen, das sie selbst nur unvollkommen konnte. Doch sie hetzte Trudi durch die einzelnen Takte. Die Weil hatte es eilig, mit ihr in ein Kaufhaus zu kommen.
    Trudi brachte nur Bruchstücke vom Text zusammen, so undeutlich kam er aus dem Mund der Vorsängerin. Trudi hatte sie erst für betrunken gehalten. Doch es war nur die Aussicht auf den Diebeszug, die Cilly Weil in Trance hob.
    »Ein Überlebenslied.« Die Weil lachte. »Es ist in einem Konzentrationslager geschrieben worden. Solange die Show läuft, wird nicht gestorben. Sind

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